Beat Tschuor ist seit Frühling Cheftrainer des Schweizer Frauen-Teams. Der Bündner äussert sich im Interview nach den ersten Saisonrennen und vor dem Heimspiel in St. Moritz an diesem Wochenende.
Beat Tschuor, stehen die Schweizerinnen in den Weltcuprennen von diesem Wochenende in St. Moritz unter besonderer Beobachtung oder profitieren sie von einem Heimvorteil?
Ich sehe es klar als Heimvorteil. Wenn du an einen Ort zurückkehren kannst, wo 2017 WM-Titel oder im letzten Jahr der Super-G gewonnen werden konnten, dann hat das aus meiner Sicht nur Vorteile. Solche positiven Dinge gilt es als Athletin aufzusaugen. Klar ist medial eine grössere Aufmerksamkeit vorhanden, aber das gilt es ebenfalls als Chance zu sehen. So können wir auch unseren Sponsoren noch besser gerecht werden.
Im Super-G am Samstag kommen einige Schweizerinnen für eine Top-Platzierung infrage. Tags darauf findet ein Parallelslalom mit vorgängiger Qualifikation statt. Dieses Format kommt im Weltcup erst zum zweiten Mal zur Austragung. Was trauen Sie Ihren Fahrerinnen zu?
Wendy Holdener ist sicher eine der Fahrerinnen, die vorne wird mitreden können. Auch Aline Danioth sollte dieses neue Format entgegenkommen, das hat man an den Junioren-Weltmeisterschaften gesehen. Aline ist eine gute Starterin und fährt auch zwischen den Riesenslalom-Toren gut. Auch Charlotte Chable, Elena Stoffel und Carole Bissig sind gut drauf. Die Qualifikation, die mit normalem Start durchgeführt wird, ist kürzer als ein normaler Slalom-Lauf, wohl nur rund 30 bis 35 Sekunden. Das wird eine enge Geschichte, nur 32 Fahrerinnen kommen weiter. Anschliessend gibt es die K.o.-Runden ab Sechzehntelfinals mit dem Starttor beim Rominger-Sprung. Da beträgt die Laufzeit wohl noch gut 20 Sekunden.
Der Weltverband FIS plant, dass solche Rennen im Weltcup-Kalender schon bald einen grösseren Anteil haben werden. Trainieren die Schweizerinnen diese Disziplin also schon fleissig?
Natürlich gilt es diese Disziplin bereits jetzt zu trainieren. Was ich als ehemaliger Nachwuchschef nicht ganz verstehe: Weshalb wird dieses Format nicht im Nachwuchs aufgebaut und werden die Jungen nicht besser daran herangeführt? Im Moment zählen diese Parallel-Wettkämpfe alle für die normale Slalom-Startliste. Es gibt immer noch keine eigene FIS-Liste für Parallel-Events. Das finde ich schade. Logisch für mich wäre es, man würde auf unterer Stufe beginnen. Nun geht man den umgekehrten Weg.
Sieben von 39 Weltcuprennen der Frauen sind gefahren. Wie sehen Sie den Saisonauftakt?
Wir sind positiv in die Saison gestartet. Speziell hervorzuheben sind die zwei Podestplätze von Michelle Gisin in den Abfahrten von Lake Louise. Und um bei dieser Disziplin zu bleiben: Auch das Abschneiden von Joana Hählen und Corinne Suter sehe ich positiv.
Es gab aber auch andere Fahrerinnen, denen es nicht so gut lief, so beispielsweise Lara Gut-Behrami.
Einige wurden zuletzt in Lake Louise etwas unter Wert geschlagen. Klar liegt auch bei Lara in der Abfahrt definitiv mehr drin. Sie hat da wohl noch ein, zwei Punkte, die es besser abzustimmen gilt. Das war sicher nicht der Start, den sie sich erhofft hat. Aber bei ihr war positiv, dass sie im Super-G eine klare positive Reaktion zeigte. Zur Podestplatzierung fehlten ihr nur 15 Hundertstel.
Wie nehmen Sie Gut-Behrami bislang wahr?
Als sehr fokussiert, aber auch offen und sehr positiv. Ihre Integration ins Team funktioniert sehr gut. Wir sind vor allem Dienstleister, ähnlich wie in den vergangenen Jahren. Es geht mir darum, dies aufrechtzuerhalten. Ich habe von Swiss-Ski in diesem Bereich einen klaren Auftrag: Lara ist eine ganz wichtige Athletin in unserem System, und sie gilt es zu unterstützen.
Sie haben zuvor Michelle Gisin gelobt. Wird die Obwaldnerin, die im Gesamtweltcup hinter Mikaela Shiffrin Zweite ist, die Saison auf diesem Niveau durchstehen können?
Michelle hat mich wirklich überrascht. Vor allem wie sie mit verhältnismässig wenig Abfahrts-Trainingstagen sofort in der Weltspitze mitfährt. Das Gleiche gilt auch für den Riesenslalom. Das zeugt von einer guten Basis. Sie ist physisch ausgesprochen gut unterwegs. Zudem weiss sie sehr gut, wie sie mit der Belastung umgehen soll. Gleichzeitig ist sie sehr fokussiert und hat im Moment eine Aura von grosser Selbstsicherheit. Ich bin überzeugt, dass sie das sehr gut durchsteht. Klar, ihre Einsätze gilt es clever und vorausschauend zu planen. Aber solange Michelle ähnlich gut fährt wie bis anhin, wird es nur ganz wenige Rennen geben, die sie nicht fahren wird.