Nadine Fähndrich wirkt eher scheu, sie liebt die Harmonie. Als Sportlerin möchte sie aber «böser werden», sagte sie einst. Jetzt lehrt sie den Gegnerinnen das Fürchten.
Der Sieg beim Weltcup-Sprint in Davos war wie schon eine Woche zuvor im norwegischen Beitostölen eine Machtdemonstration. Ob auf den Skating-Ski oder mit klassischer Technik, die Olympia-Fünfte setzte sich diskussionslos durch und erlebt die bislang erfolgreichsten Wochen ihrer Karriere. Zwar haftet den Siegen der Makel der fehlenden Top-Athletinnen aus Schweden an, aber selbst diese hätten ohne überragende Leistung die 27-jährige Luzernerin nicht bezwungen. Nadine Fähndrich ist ohne Zweifel mitten in der Weltspitze angekommen.
Mentales Training bildet im Spitzensport oft ein wichtiges Puzzleteil, bei Nadine Fähndrich sogar ein sehr wichtiges. Die Zentralschweizerin gibt zu, dass sie lange Zeit Angst vor dem Versagen hatte, dass sie auch in dieser Saison noch gegen negative Gedanken ankämpfen muss. Sie erklärt dies am Beispiel von Kuusamo, wo sie den Wettkampf-Winter als Nummer 7 des Prologs toll eröffnet hatte: «Vor dem Viertelfinal (in welchem Fähndrich ausschied – Red.) denke ich: 'Kann ich stärker sein als die anderen?' Aber im Jahr zuvor (als sie in die Halbfinals vorstiess) als Nummer 27 und Aussenseiterin dachte ich: 'Ich kann stärker sein als all die andern!'»
Dieses Gedankenkino lässt sich nicht einfach abschalten. Deshalb muss Nadine Fähndrich viel investieren, damit ihre Stärken zum Vorschein kommen. Sie analysiert jedes Rennen mit einem Mentaltrainer. «In einem ersten Schritt geht es darum, dass ich meine Probleme sehe und sie auch formulieren kann. In einem zweiten Schritt machen wir uns an die Umsetzung, finden eine Lösung.»
Gedanken nicht zur Konkurrenz schweifen lassen
Es gehe oft darum, sich allein auf sich zu konzentrieren, ohne die Gedanken zur Konkurrenz schweifen zu lassen, schildert die Nummer 1 des Schweizer Teams einen konkreten Aspekt der Arbeit mit Mental-Coach Heinz Müller. «Beim Sieg in Beitostölen richtete ich den Fokus im letzten Anstieg einzig auf meine Schritttechnik und achtete nicht darauf, wo die Gegnerinnen sind.» Oder in Davos sagte sie vor dem Rennen: «Ich bin Mitfavoritin.» Diesen Satz hätte sie früher kaum einfach so ausgesprochen.
Auch während des Wettkampfs in Davos liess Nadine Fähndrich in zwei Situationen die mentale Stärke erkennen. Erstens wählte die Prolog-Schnellste den fünften und letzten Viertelfinal. Eine Seltenheit und in gewisser Weise ein Nachteil, denn die Erholungszeit wird kürzer. Aber die Favoritin wollte in den Viertelfinals einem ersten Test gegen die Besten ausweichen. Zweitens liess sich die Schweizerin nicht aus dem Konzept bringen, als sie im Final auf der langen Geraden der zweiten Runde hin zum Schlussanstieg nicht wie geplant an die Spitze vorstossen konnte. Die Frau aus dem Eigenthal blieb ruhig, nahm in der Kurve die Aussenbahn und wartete, bis sie im Anstieg genug Platz für den Angriff vorfand.
Grosser Schritt Richtung Technik-Allrounderin
Die vierfache Weltcupsiegerin – einen Erfolg realisierte sie zusammen mit Laurien van der Graaff im Team-Sprint – kann der Tour de Ski zuversichtlich entgegen blicken. Der Skating-Schritt behagt ihr nach wie vor besser, aber das intensive Training der klassischen Technik hat schneller Fortschritte gebracht als angenommen. Gemäss Trainer Ivan Hudac läuft Nadine Fähndrich nun auch bei Ermüdung technisch sauber, die Koordination zwischen Rumpf- und Beinarbeit sei besser geworden.
Ob Skating oder klassisch: Die Allrounderin hat nun in jedem Sprint-Rennen echte Podestchancen. Und aus taktischer Sicht bevorzugt Nadine Fähndrich sogar ein Kräftemessen in der klassischen Technik. «Diese Disziplin ist einfacher zu laufen, weil du deine eigene Spur hast und meistens genug Platz vorfindest. Und auf der Zielgeraden bin ich mit dem Doppelstock besser als im Skating-Schritt», betont sie.