Das Laax Open wird für Iouri Podladtchikov immer mehr zur wichtigen Wegmarke in seiner Karriere. Am Heimevent nimmt er einen nächsten Anlauf, ein schweres Verletzungstrauma zu überwinden.
In der Welt des Sports ist vieles eine Frage des richtigen Timings. Ob es darum geht, die Vorbereitung auf einen wichtigen Anlass abzustimmen, im Bruchteil einer Sekunde den richtigen Entscheid zu fällen, oder darum, in wegweisenden Momenten die bestmögliche Leistung abzurufen; Timing bestimmt über Erfolg oder Misserfolg. Olympiasieger Iouri Podladtchikov war lange ein Meister des richtigen Timings, in der Halfpipe und daneben. Eine Eigenschaft, die dem 31-jährigen Snowboarder in den letzten Monaten abhandengekommen zu sein scheint.
Schwere Verletzungen, rasche Comebacks und wiederkehrende gesundheitliche Probleme prägten Podladtchikovs Leben in den letzten drei Jahren – eine Negativspirale die Fragen aufwirft: Lässt der Körper des Zürchers, der einst den Ruf genoss unzerstörbar zu sein, das Profi-Snowboarden überhaupt noch zu? Verlor der vom Ehrgeiz getriebene gebürtige Russe die Kontrolle? Hat der Weltmeister von 2013 den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt verpasst? Nach Antworten darauf wird in der Schweiz sogar ausserhalb des Sport-Biotops gesucht.
Roger Schawinski widmete Podladtchikov etwa am Montag seinen Talk beim Schweizer Fernsehen. Vier Tage vor dem Weltcup-Comeback in Laax nach einem im letzten Februar erlittenen Achillessehnenriss nahm der Snowboarder im Studio in Leutschenbach auf dem Stuhl Platz, auf dem sich für gewöhnlich Vertreter aus Politik und Wirtschaft einem Schlagabtausch mit dem 74-jährigen Talkmaster stellen. Darin äusserte sich der Olympiasieger von Sotschi 2014 auch wiederholt zur schweren Verletzung, die er sich während den Weltmeisterschaften im letzten Jahr zugezogen hatte. Den Riss seiner Achillessehne verkraftet Podladtchikov nur langsam – physisch wie auch mental. Noch immer kann er aufgrund wiederkehrender Schmerzen nicht mit der Intensität trainieren, die er sich vorstellt.
Resultat zweitrangig
Mehr noch als die körperlichen Schmerzen macht dem Ausnahmekünstler, der neben dem Snowboarden in New York ein Kunststudium absolviert, die Aussenwahrnehmung zu schaffen. Nach dem jüngsten Rückschlag habe er zum ersten Mal selbst im Blick von ihm nahestehenden Personen erkennen können, dass sie ihm ein weiteres Comeback nicht zutrauen, sagte er bei Schawinski. Wenn er heute in Laax zur Qualifikation antritt, will der Vorjahressechste nicht nur sich selber beweisen, dass es das noch nicht gewesen ist.
Als Ziel für den Heimweltcup hat sich Podladtchikov die Finalteilnahme gesetzt, wobei auch diesbezüglich die schwere Verletzung Spuren hinterlassen hat. «Es war für mich schon sehr bereichernd, einfach wieder Zeit in der Snowboard-Familie zu verbringen», sagt Podladtchikov ergänzend. Zumindest vorläufig ist die Rangliste nicht mehr das wichtigste Bewertungskriterium des Zürchers. Es geht ihm um mehr. Er müsse den Stempel loswerden, dass er tot sei, sagte er einst gegenüber der NZZ.
Laax hat für den vierfachen Weltcup-Sieger eine spezielle Bedeutung. Im Januar 2018 glückte ihm mit dem Sieg auf dem Crap Sogn Gion der letzte grosse Wurf im Weltcup, in der Vorsaison avancierte er ebenfalls aus einer Verletzung kommend als Sechster zum besten Schweizer. Und heuer: Beweist er den Zweiflern, seinem Körper und sich selber, dass weiter mit ihm zu rechnen sein wird? Oder liefert er einen Beleg dafür, dass er das Timing für den Absprung aus dem Snowboard-Sport verpasst hat? Wie er sich sein Karriereende wünschte, fragte Schawinski Podladtchikov am Montag: «Ein Happy End kann ich mir irgendwie nicht vorstellen», antwortete dieser. Denn Happy Ends seien oft langweilig.