James Crawford setzt die Tradition kanadischer Überraschungserfolge fort. Der Super-G-Weltmeister hat sich einst für den Skisport und gegen das Eishockey entschieden. Auch wegen Connor McDavid.
Wieder ein Kanadier! Wieder nutzte einer die grosse Bühne zum grossen Coup. Wieder liess einer alle Favoriten hinter sich. Didier Cuche kann davon ein Liedchen singen. Nein, zwei Liedchen. Vor 14 Jahren an der WM in Val d'Isère musste sich der Neuenburger in der Abfahrt dem über sich hinauswachsenden John Kucera geschlagen geben, zwei Saisons danach an der WM in Garmisch-Partenkirchen stand ihm wiederum in der Abfahrt Erik Guay vor der Sonne. Guay ärgerte die grossen Favoriten auch an der WM vor sechs Jahren in St. Moritz, wo er den Super-G vor dem Norweger Kjetil Jansrud gewann und in der Abfahrt hinter Beat Feuz Silber holte.
Der vor neun Jahren zurückgetretene Kucera erlebte das Husarenstück seines jungen Landsmanns Crawford hautnah mit. Seit vier Wintern ist er als Coach der Speed-Fahrer in Kanadas Verband tätig. Crawford nennt es einen Glücksfall, auf die Erfahrungen eines früheren Weltmeisters zurückgreifen zu können. «Er weiss, wovon er spricht. Er betrachtet den Skirennsport aus einem anderen Winkel als andere Trainer.»
Crawford, der je einen 2. Platz im Super-G und in der Abfahrt als Bestresultate im Weltcup ausweist und schon an den Olympischen Spielen in Peking mit dem 3. Rang in der Kombination seine Qualitäten gezeigt hat, ist seit dem Jahreswechsel den Erwartungen deutlich hinterhergefahren. Dazu haben Stürze in den Super-G in Wengen und zuletzt in Cortina d'Ampezzo das Selbstvertrauen zusätzlich auf die Probe gestellt.
«Eine Strecke für mich»
Was in den vergangenen Wochen war, beschäftigte Crawford seit der Ankunft in Savoyen nicht mehr. Spätestens bei der Besichtigung des Super-G-Kurses kam da sogar die Hoffnung auf, dass dies sein Tag werden könnte. «Ich wusste, dass dies eine Strecke für mich sein kann. Die Bedingungen waren perfekt für mich.» Den Optimismus behielt er nicht für sich. Er teilte seine Zuversicht vor dem Start unter anderen auch Marco Odermatt mit. Den gleichaltrigen Nidwaldner kennt er schon seit rund zehn Jahren, seit gemeinsam bestrittenen Nachwuchsrennen in Whistler an der Westküste Kanadas.
Das Gebiet, vor 13 Jahren während der Olympischen Spiele in Vancouver Austragungsort der alpinen Wettbewerbe, ist für den aus Toronto stammenden Crawford schon zu Jugendzeiten zur sportlichen Heimat geworden. Heimat – ein Wort, das ihn sinnieren lässt. «Wir sind praktisch den ganzen Winter nie zu Hause. Wir sehen unsere Familien und Freunde nur selten. Das ist für uns Nordamerikaner der härteste Teil unseres Sports.»
In seiner Familie wissen sie, wovon Crawford spricht. Der neue Weltmeister ist da längst nicht der einzige Skirennfahrer. Seine drei Jahre ältere Schwester Candace startet ebenfalls im Weltcup, seine Tante Judy Crawford Rawley war von 1967 bis 1974 Mitglied des kanadischen Nationalteams.
Vom 1:5 zum 6:5 – dank McDavid
Crawford hatte nicht von Beginn weg auf den Skirennsport gesetzt. Bis ins Alter von 15 Jahren war er zweigleisig unterwegs; er hatte auch als Eishockeyspieler Talent. Dass er sich für eine alpine Laufbahn entschied, soll auch mit Connor McDavid zusammenhängen. Mit dem Center, vor acht Jahren die Nummer 1 im NHL-Draft und als Spieler der Edmonton Oilers seit Langem eine der grossen Attraktionen in der besten Eishockey-Liga der Welt, hat Crawford einst in einer Schülermannschaft zusammengespielt.
Es war dieses eine Spiel, das Crawford den Entscheid erleichterte. Sein Team lag 1:5 zurück, McDavid fehlte, weil er, wie erzählt wurde, an jenem Tag mit einer anderen Mannschaft im Einsatz stand. Zehn Minuten vor Schluss kam er für seine angestammte Equipe doch noch aufs Eis – und erzielte innert fünf Minuten vier Tore zum Ausgleich. Es folgte die letzte Minute. Crawford lenkte einen Schuss von McDavid ab – 6:5, Sieg. «Als ich Connor spielen sah, wurde mir klar, dass es viel bessere Eishockey-Spieler gibt als mich.»
Seinen Entscheid hat Crawford selbstredend nie bereut. Wer weiss, ob er es auch im Eishockey so weit gebracht hätte, ob es wahr geworden wäre mit der grossen Bühne, die er am Donnerstag in Courchevel überraschend betreten hat.