Nach Rücktrittsgedanken und prägender Leidenszeit mit ihrem Verlobten Aleksander Kilde nimmt Shiffrin den Gesamtweltcup-Rekord ins Visier. Den US-Wahlkampf verfolgt die Amerikanerin mit Besorgnis.
Den Vergleich als Taylor Swift des Skisports tut sie grinsend ab. Geht alles seinen Gang, wird Mikaela Shiffrin in diesem Ski-Winter die nächsten Fabelmarken auf der Piste knacken. Zum 100. Weltcupsieg fehlen nur noch drei Siege. Und bleibt die 29-Jährige verletzungsfrei, ist ihr der sechste Triumph im Gesamtweltcup nur schwer zu nehmen. Und doch haben die Negativerfahrungen der Vorsaison Einschnitte hinterlassen.
Als erste Konsequenz lässt Shiffrin nach ihrem schweren Sturz in Cortina d'Ampezzo in der Vorsaison die Abfahrt sausen. «Mehr Super-G, aber keine Abfahrt in dieser Saison», lautet der neue Zugang.
Als oberstes Saisonziel will Shiffrin «buchstäblich so bleiben, wie ich bin». Die Rückeroberung des Gesamtweltcups von Lara Gut-Behrami bezeichnet sie als «meinen Leitstern» für den WM-Winter. Mit der sechsten grossen Kugel würde sie mit Rekordsiegerin Annemarie Moser-Pröll gleichziehen. In Sachen Hunderter hält sie den Ball flach, lässt aber durchblicken, dass ihr an der Marke ähnlich viel wie an der Verbesserung des Rekordes von Ingemar Stenmark (86 Siege) liegt. Platzierungsziele im herkömmlichen Sinn habe sie schon länger nicht mehr. «Ich will einfach so weitermachen wie bisher und hart arbeiten.»
Lebensverändernder Moment
Schwierige Monate liegen hinter ihr. Das Schicksal ihres Partners Aleksander Kilde, der sich in Wengen schwere Bein- und Schulterverletzungen zuzog, war ein Schlag. Shiffrin spricht von einem lebensverändernden Moment, wie es der Tod ihres Vaters Jeff 2020 war. Das Ski-Traumpaar sinnierte offenbar sogar über einen gemeinsamen Rücktritt. «Es gab Momente, in denen wir uns müde gefühlt haben.» Zumindest symbolisch rückten sie mit der Verlobung im April noch näher zusammen. Der Ring wurde so designt, dass er auch im Rennhandschuh passt.
Während Shiffrin wieder durchstartet, ist Kilde auch neun Monate nach dem Malheur vom Comeback weit entfernt. Im Juli musste der norwegische Abfahrer wegen einer Infektion in der Schulter erneut unters Messer. «Wir dachten, er hat es überstanden. Umso schwieriger war es», sagte Shiffrin. Kilde betonte indes sein Ziel, noch einmal in den Weltcup zurückzukommen. Weil er wegen anhaltender Antibiotika-Einnahme nur eingeschränkt trainieren kann, hat er sich mittlerweile für ein Londoner Fernstudium (Finanzen und Immobilien) eingeschrieben.
Auch Shiffrin macht sich Gedanken über die Zukunft. «Irgendwann will ich eine Familie haben, es gibt andere Dinge, die ich erleben will – all das wird Jahr für Jahr wichtiger.» Noch liegt ihr Fokus auf dem Sport. «So lange die Motivation und Bereitschaft da sind, Opfer zu bringen, werde ich weitermachen.» Seit einiger Zeit hat das Paar seine gemeinsame «Homebase» in Innsbruck.
Besorgt über gesellschaftliches Klima in den USA
Das gesellschaftliche Klima in ihrer Heimat macht Shiffrin Sorgen. Besonders beschäftigt sie das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und die Abtreibungsdebatte in den USA. «Es gibt eine Menge Leute, die kein Problem damit zu haben scheinen, Frauen vorzuschreiben, wie sie mit ihrer eigenen Gesundheit umgehen. Das ist beängstigend. Ich bin besorgt.»
Im Endspurt der US-Präsidentschaftswahlen will sie daher ihre Reichweite nutzen, um öffentlich zum Urnengang aufzurufen. Eine Wahlempfehlung für Kamala Harris – wie es etwa Popikone Taylor Swift vorgemacht hat – wird sie ihren knapp 1,5 Millionen Instagram-Followern nicht geben. «Ich weiss, dass meine Stimme ein gewisses Gewicht hat. Ich möchte aber niemandem vorschreiben, was er oder sie zu tun hat.»