Stefan Rogentin begibt sich nach einer für ihn schwierigen Saison zurück zu den Wurzeln, um sich seiner privilegierten Situation bewusst zu werden.
Im Zielsack, dort wo sonst die Fahrer nach dem Rennen abschwingen, posiert gerade Lara Gut-Behrami mit der Super-G-Kristallkugel und inmitten des Swiss-Ski-Frauenteams für die Fotografen. Gleichzeitig findet in einem anderen Teil des Zielgeländes am Hinterglemmer Zwölferkogel die Siegerehrung des Männer-Rennens statt – mit ausschliesslich Schweizer Fahrern auf dem Podest.
Stefan Rogentin hatte gegenüber Loïc Meillard (2.), der seinen ersten Super-G-Sieg nur um 0,03 Sekunden verpasste, und Arnaud Boisset (3.), im Weltcup zuvor nie besser als Siebenter, das Hundertstelglück auf seiner Seite. Der zu Ehren des siegreichen Bündners gespielte Schweizer Psalm verlieh zugleich auch dem Foto-Shooting um Gut-Behrami einen würdigen Rahmen. Sehr viele der über 8000 Zuschauer hatten zu diesem Zeitpunkt ihren Platz jedoch bereits verlassen, enttäuscht darüber, dass die einheimischen Fahrerinnen und Fahrer ohne Top-3-Resultat geblieben waren.
Viel, sehr viel Gefühl
Dass die grossen Tribünen, die nächstes Jahr bei der WM noch um einiges grösser ausfallen werden, sich gelichtet hatten, kümmerte Rogentin kaum – so er dies denn überhaupt bemerkte. Der 29-Jährige, ein eher leiser Vertreter der Fahrer-Zunft, genoss sichtlich den Moment, wirkte auch lange nach dem Rennen noch in sich gekehrt, ja gar ein bisschen verträumt.
Rogentin, vor Jahresfrist in Wengen Zweiter im Super-G, dachte dabei an diesen Winter, der für ihn bis zum Super-G in Saalbach vorwiegend aus Enttäuschungen bestanden hatte. Bei 14 Starts nur dreimal in den Top 10, aber nie besser als Siebenter – das war nicht nach dem Gusto des Bündners, der auch auf der Piste oftmals unscheinbar unterwegs ist.
Gerade dieser sanfte Fahrstil war im weichen, mit viel Salz durchsetzten Schnee allerdings der richtige. «Ich versuchte, mit Gefühl, sehr viel Gefühl zu fahren. Bei eisigen Bedingungen kommt mir das nicht entgegen, aber heute habe ich es zu meinem Vorteil genutzt. Zudem spürte ich – warum auch immer – schon beim Aufstehen am Morgen, dass es gut kommt.»
Spezielles Training daheim
Eine wichtige Episode auf dem Weg zum ersten Triumph im Weltcup spielte sich aber bereits einige Tage zuvor in der Heimat ab. Um auf andere Gedanken zu kommen, absolvierte Rogentin in der wettkampffreien Phase – das letzte Speed-Rennen vor Saalbach fand am 18. Februar in Kvitfjell statt – einen besonderen Trainingstag. Statt der x-ten Krafteinheit schloss sich der Speed-Spezialist aus Lenzerheide einem regulären Training seines Skiklubs an.
Als er sah, «mit welcher Freude die Zehn-, vielleicht Zwölfjährigen Ski gefahren sind», wurde Rogentin vor Augen geführt, «wie es bei mir selber früher war». Im weiteren Verlauf der Karriere komme einem «diese Begeisterung manchmal abhanden». Indem er sich zurück zu seinen Wurzeln begab, fand Rogentin zurück zur Freude am Skifahren «und zur Leidenschaft, mit welcher ich heute gefahren bin».
Odermatt wusste vor dem Start vom Kugelgewinn
Bei der Siegerehrung abseits stand für einmal Marco Odermatt. Was ihm in dieser Saison im Super-G erst zum zweiten Mal nach Garmisch widerfuhr – dort fand das Rennen ebenfalls auf frühlingshaftem Schnee statt. Der Nidwaldner, mit 13 Saisonsiegen und weiteren sieben Top-3-Plätzen im Gepäck, freute sich vorbehaltlos für seine drei besser klassierten Teamkollegen, den 5. Platz konnte er gut verschmerzen.
Dass er wie im Vorjahr die Disziplinen-Wertung gewinnen würde, wusste er schon vor dem Start. Obwohl zwischen der Zieleinfahrt seines letzten verbliebenen Konkurrenten Vincent Kriechmayr und seinem Start nur gerade 30 Sekunden lagen, liess sich Odermatt im Starthaus vom Swiss-Ski-Betreuer über das Abschneiden des Österreichers informieren. «Ich habe es mir lange überlegt, ob ich das so machen will oder nicht. Aber so erfuhr ich, dass 'Vinc' nur Fünfter war und ich die Kugel hatte.»
Was wäre aber gewesen, wenn Kriechmayr, der nur mit einem Sieg den Schweizer noch hätte überflügeln können, in Führung gegangen wäre? «Dann hätte ich gewusst, dass ich über die letzte Welle vielleicht nicht extrem direkt fahren sollte.» Bei 81 Punkten Vorsprung vor dem abschliessenden Rennen hätte sich Odermatt dieses Taktieren erlauben können. Auch der 13. Platz hätte ihm zur kleinen Kristallkugel gereicht. Er finde es «cool», diese erneut in seinen Besitz zu bringen. «Denn in dieser Saison hatten wir, mit Ausnahme vielleicht von Bormio, viele einfache Super-G zu absolvieren.»