Deutscher U19-Nationalspieler Anton Kades Wechsel zu Basel zeigt einmal mehr, wie Hertha BSC seine Talente verscherbelt

Von Michael Angele

21.6.2022

Anton Kade sieht beim FC Basel offenbar mehr Entwicklungspotenzial als bei Hertha BSC.
Anton Kade sieht beim FC Basel offenbar mehr Entwicklungspotenzial als bei Hertha BSC.
Getty

Nicht zum ersten Mal verliert Hertha BSC ein vielversprechendes Talent. Der deutsche U19-Nationalspieler Anton Kade wechselt für 500'000 Euro nach Basel. Das gefällt den Berliner Fans gar nicht.

Von Michael Angele

«Ausleihen würde ich ja noch verstehen», wettert ein Hertha-Blogger. Aber gleich verkaufen? «Eines unserer grössten Talente.» Kade ist im äussersten Südwesten Berlins aufgewachsen, wo die Havel besonders breit ist. Mit neun Jahren wechselte er von den Sportsfreunden Kladow zu Hertha. Erst Anfang des Jahres wurde der Achtzehnjährige von den Profis übernommen. Nach vier Kurzeinsätzen in der Bundesliga folgt nun der Wechsel in die Super League.

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Der linke Flügelspieler ist nicht der erste Hertha-Spieler aus der eigenen Jugend, an dem Basel Interesse gezeigt hatte. Auch an Innenverteidiger Marton Dardai (20) war der FCB letzte Saison dran. «Die schätzen offenbar unsere Jugendarbeit», spottet der Fan. Nicht so Hertha. «Was ist bloss los?»

Es ist eine der grossen Fragen im Turbo-Fussballgeschäft unserer Zeit. Wie wichtig sind Eigengewächse für die Klubs noch? Stärken sie die Identität eines Vereins? Oder verhindern sie den grossen Erfolg? Manchmal macht es die Mischung: So pflegte der FC Basel lange einen attraktiven Mix aus Eigengewächsen und internationalen Hochbegabungen.

Die neue Transferphilosophie des FCB

Unter Klubboss David Degen setzt man nun auf den Kauf und die Leihe von internationalen Talenten wie eben Anton Kade. Vom Lokalkolorit, das Marco Streller 2017 bei seinem Amtsantritt als Sportchef versprach, ist auf dem Platz nicht mehr viel zu sehen. Die Fans müssen sich mit anderen Werten identifizieren, dem schnellen Erfolg, einer attraktiven Spielweise.

Oder Typen. Darauf setzt man bei Union Berlin, dem zweiten Bundesligaklub der deutschen Hauptstadt. «Typen» wie dem beinharten Mittelfeldspieler Robert Andrich, der jetzt bei Leverkusen spielt, und sogar aus der Region kommt, aber das Fussballspielen beim «falschen» Verein gelernt hatte: bei Hertha BSC.

Die Akademie der Hertha hat einen exzellenten Ruf. Wer als jugendlicher Fussballer in Berlin einen Ehrgeiz hat, der will dorthin, nicht zu Union. Über 70 Spieler aus der Akademie wurden Profis. Längst nicht alle landeten bei Hertha. Muss gar nicht. Für die Spieler der Nachwuchsakademien gibt es in ganz Deutschland gute Absatzmöglichkeiten, denn in der ersten und zweiten Bundesliga gilt die «Local Player Regelung» der UEFA. In einem Verein müssen mindestens acht in Deutschland ausgebildete Spieler im Kader stehen, davon vier aus der eigenen Jugend.

Eine solche Regel gibt es auch in der Super League. Auch hier müssen acht Spieler eine Ausbildung bei einem Schweizer Verein durchlaufen haben, aber es muss nicht der eigene sein. Der FC Basel hat nach wie vor viele junge Talente im Kader, die meisten wurden allerdings aus dem Ausland eingekauft. Mit dem Ziel, sie später gewinnbringend wieder verkaufen zu können. So auch in diesem Sommer. Arnau Comas kommt von der Barça-Jugend, der ehemalige PSG-Profi Jean-Kévin Augustin will am Rheinknie seine Karriere neu lancieren. Und eben auch Anton Kade, der bis 2026 unterschrieben hat, spielt neu in Basel.

Grosser Verschleiss an Talenten in Berlin

Längst nicht alle Talente der Hertha-Akademie werden auch zu Hertha-Profis. Und von denen, die übernommen werden, setzt sich kaum eines durch. Die Liste der verschwendeten Talente ist lang. Von Jérôme Boateng, der als 14-Jähriger zur Hertha stiess, später gerade zehnmal für die erste Mannschaft aufspielte, bevor er in der Ferne eine Weltkarriere ablieferte, bis zu Arne Meier oder Luca Netz, der als das allergrösste Talent galt und heute bei Mönchengladbach spielt. Auch Julius Kade, der Bruder von Anton, durchlief die Akademie und wurde einst von den Profis übernommen. Er kam auf einen (!) Einsatz.

Anton Kade bei einem seiner vier Bundesliga-Einsätzen für Hertha BSC.
Anton Kade bei einem seiner vier Bundesliga-Einsätzen für Hertha BSC.
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«Was also ist bloss los?» Ich gebe die Frage des Fans an den Hertha-Experten der Berliner Zeitung, an Michael Jahn weiter. Im Gespräch werden interessante Parallelen zum FC Basel deutlich. Auch Hertha hat viele Konzepte probiert. Es gab eine Zeit, da setzte man auf die Brasilianer, dann auf Ostdeutsche, dann durchaus auf den Nachwuchs. Bis mit Lars Windhorst ein schwerreicher Investor kam und Jürgen Klinsmann mitbrachte, der im Winter 2020 sage und schreibe 77 Millionen Euro an Transfergeld für vier Spieler verpulverte, unter anderem für den Ex Sion-Spieler Matheus Cunha.

Zweimal wäre Hertha in der Folge beinahe abgestiegen. Cunha ist längst weg. Das Chaos und der Grössenwahn im Hauptstadtclub sind geblieben. Neulich ist der langjährige Präsident Werner Gegenbauer zurückgetreten. Nun läuft alles auf einen Machtkampf zwischen dem Teppichhändler Frank Steffel und dem ehemaligen Vorsänger der Ultras, Kay Bernstein, hinaus. Sollte Steffel gewinnen, muss man unbedingt gleich «international dabei» sein, sollte Bernstein siegen, ging es wieder um eine Berliner «Kultur» bei Hertha – und auch gegen den Sportchef Fredi Bobic.

Hertha-Sportdirektor Fredi Bobic muss gehörig Kritik einstecken.
Hertha-Sportdirektor Fredi Bobic muss gehörig Kritik einstecken.
Keystone

Kann sein, dass man einem wie Anton Kade dann wieder mehr Zeit zur Entwicklung bei Hertha gibt. Erfolg garantiert das aber noch nicht. Denn neben den harten Faktoren des «Big Business» ist da noch ein weicher. In einem ist sich Michael Jahn ganz sicher: «Es ist auch die Stadt, die die jungen Spieler am Durchbruch hindert. In Berlin sind sie einfach zu sehr abgelenkt. Es gibt so viele Verführungen.»

Das erkennen manche Spieler und ihre Berater – bei Anton Kade heisst er Michael Ballack – und wechseln an einen beschaulichen Ort. Kann also gut sein, dass der FC Basel auch künftig eine gute Chance hat, ein begnadetes Talent aus Berlin zu holen.