Andy Murray macht seinem Ruf als Stehaufmännchen mal wieder alle Ehre. Obwohl er in der 1. Runde nicht sein bestes Tennis zeigt, spielt sich der Brite in die Herzen der Fans und einer ganz besonderen Zuschauergruppe.
Mit diesem Promi-Auflauf hatte Andy Murray bei seinem Grand-Slam-Comeback nicht gerechnet: Obwohl in diesem Jahr wegen der Coronavirus-Pandemie keine Zuschauer erlaubt sind, erfuhr der ehemalige Weltranglistenerste bei seinem Auftaktsieg bei den US Open lautstarke Unterstützung von der Tribüne. Plötzlich sass die versammelte Tennis-Prominenz um Novak Djokovic, Alexander Zverev und Naomi Osaka vor den umfunktionierten Logen auf dem Center Court und trieb den 33 Jahre alten Briten mit dem Metall in der Hüfte zu einem heroischen Kraftakt und dem Einzug in die zweite Runde.
«Es kommt nicht oft vor, dass so viele Spieler dein Match anschauen», sagt Murray nach seinem 0:2-Satzrückstand, der Abwehr eines Matchballs und dem 4:6, 4:6, 7:6 (7:5), 7:6 (7:4), 6:4 in 4:38 Stunden gegen den Japaner Yoshihito Nishioka.
«Das kann dich auch ablenken, wenn du hochschaust und siehst, dass dir Kollegen aus den Top Fünf, aus den Top Ten der Welt zuschauen», meint der Schotte und gibt zu: «Als ich die Gesichter gesehen habe, hat es mir geholfen.»
Die Karriere war eigentlich vorbei
Eigentlich wollte Murray seine Karriere Anfang 2019 wegen einer erneuten Operation an der Hüfte bereits beenden. Unvergessen die Szenen bei den Australian Open, als er am 14. Januar gegen den Spanier Roberto Bautista Agut ebenfalls über fünf Sätze kämpfte, am Ende aber verlor und sich emotionale Abschiedsvideos anschauen musste, weil seine Karriere beendet schien. Bereits drei Tage zuvor verkündete Murray seinen Rücktritt unter Tränen wegen anhaltender Hüftprobleme und einer anstehenden Operation.
Doch so wollte er nicht abtreten. Trotz zweier Hüftoperationen und harter Geduldsproben in der Reha wollte Murray noch einmal auf die ganz grossen Plätze seines Sports zurück.
Und bescherte so den Geister-US-Open 2020 einen ersten emotionalen Höhepunkt. Die VIP-Logen im Arthur-Ashe-Stadium sind in diesem Jahr ohne zugelassene Zuschauer auf der Anlage zu persönlichen Rückzugsorten der gesetzten Profis umgebaut worden. Und so kam es, dass Djokovic & Co. am Dienstag auf einmal auf den kleinen Balkonen sassen, um sich das Spektakel nicht entgehen zu lassen.
Williams: «Ich wollte wirklich, dass er gewinnt»
Selbst Serena Williams war begeistert – und nicht genervt, wie man es aufgrund der Ansetzung ihrer Partie nach dem Murray-Match hätte vermuten müssen. «Normalerweise ist es so: Wenn du auf dein Spiel wartest und im Match vor dir auf diesem Platz liegt einer 0:2 hinten nach Sätzen, bist du für denjenigen, der führt, damit das Match schnell zu Ende geht und du auf den Platz kannst», erzählt Williams später nach ihrem 102. Sieg bei den US Open, mit dem sie die bisherige Rekordhalterin Chris Evert überflügelte. «Aber ich habe Andy die ganz Zeit angefeuert. Ich wollte wirklich, dass er gewinnt.»
Eisbad? «Das ist für mich ein Notfall»
Das tat er dann auch tatsächlich und hatte anschliessend nur ein Problem: Wegen der strengen Hygieneregelungen sind die sonst bei Profis oft beliebten Eistonnen in diesem Jahr tabu. Doch Murray wusste sich zu helfen. «Es gibt ein Eisbad hier auf der Anlage, das man im Falle eines Notfalls benutzen darf. Für mich ist das ein Notfall, weil mein ganzer Körper schmerzt», sagt er (im Video am Anfang des Artikels). Und natürlich erlaubten die Turnierchefs dem Champion von 2012 den Gang in das kalte Wasser. «Ich werde heute Nacht gut schlafen», meint Murray zur Verabschiedung – und mit Vorfreude auf die nächste Herausforderung gegen das 20 Jahre alte kanadische Toptalent Felix Auger-Aliassime am Donnerstag.