
Belinda Bencic startet mit einem Sieg in ihre zweite Tennis-Karriere. Doch ihre erste Priorität gilt heute ihrer knapp einjährigen Tochter. Die Schweizer Olympiasiegerin hat auch in ihrer neuen Rolle noch viel vor, wie sie dem Magazin SPORTLERIN verrät.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Nach ihrer Baby-Pause ist Belinda Bencic eindrücklich auf die WTA-Tour zurückgekehrt.
- «Tennis war mein Leben, und der Sport ist mir immer noch sehr wichtig. Doch ich weiss heute: Es gibt auch noch anderes als das Leben auf dem Court», sagt die 28-jährige Ostschweizerin.
- Nichtsdestotrotz hat Bencic in ihrer Karriere nach wie vor viel vor.
- In unregelmässigen Abständen publiziert blue News ausgewählte Artikel von SPORTLERIN – das Schweizer Frauen-Sportmagazin.
Zuerst war da ein kurzer Moment des Zögerns, vielleicht sogar der Ungläubigkeit. Belinda Bencic legte ihre Hände zunächst über die Augen, dann kurz auf den Kopf. Ein Lachen überzog ihr Gesicht, und ihr Blick ging Richtung Tribüne. Dorthin, wo ihr Lebenspartner Martin Hromkovic mit ihrer kleinen Tochter Bella stand. «Als die Kleine im dritten Satz plötzlich auf der Tribüne auftauchte, gab mir das Kraft», erzählte Bencic ein paar Tage später in einem Video-Call aus Dubai.
SPORTLERIN – das Schweizer Frauen-Sportmagazin

Auf rund 100 Seiten werden Athletinnen aus dem Spitzensport, aus den Para-Disziplinen und aus dem Nachwuchs vorgestellt. Der Schweizer Frauensport wird in all seinen wunderbaren Facetten abgebildet. SPORTLERIN erscheint alle drei Monate, ein Jahresabo mit vier Ausgaben kostet 30 Franken und ist an den Kiosken erhältlich. Alle Informationen auf www.sportlerin-magazin.ch
Belinda Bencic hatte es geschafft. Keine vier Monate nach ihrer Rückkehr auf die WTA-Tour gewann die Ostschweizerin Anfang Februar bereits wieder einen Titel. Beim WTA 500 Turnier von Abu Dhabi siegte sie im Final gegen die Amerikanerin Ashlyn Krueger in drei Sätzen und feierte damit den neunten Titel auf der Profitour. Im sechsten Turnier nach ihrem Comeback im vergangenen November und nur gerade zehn Monate nach der Geburt ihrer Tochter hielt sie wieder einen Pokal in den Händen. Als erste Mutter seit der Ukrainerin Elina Svitolina im Mai 2023 in Strasbourg.
Dass Tennisspielerinnen auch nach der Geburt ihrer Kinder weiterhin Partien und Titel gewinnen, ist keine Seltenheit mehr. Und doch hatte sie selbst nicht erwartet, so schnell wieder Turniere zu gewinnen. Aus Dubai, wo sie ihr nächstes Turnier bestritt, erzählte Bencic: «Etwas überrascht war ich schon. Doch es war ein spezieller Moment.»
Nach dem Match machten sie noch Bilder mit ihrer Tochter und dem Pokal auf dem Platz. Es war ein Moment, der für die Mutter und dereinst wohl auch für ihre Tochter erinnerungswürdig ist. Roger Federer, der selbst vierfacher Vater ist, gratulierte per SMS. Er war längst nicht der Einzige.
Ohne falsche Selbstzweifel
Belinda Bencic ist keine Frau, die sich mit Selbstzweifeln herumschlägt. Bereits vor ihrem Comeback hatte sie wiederholt gesagt, sie fühle sich noch alles andere als am Ende ihrer Karriere. In einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» hatte sie im August gesagt: «Es bleibt ein Ziel von mir, ein Major-Turnier zu gewinnen und das Beste herauszuholen. Ich habe noch einige Karrierejahre vor mir. Ich habe in meiner Kindheit und Jugend zu viel und zu hart gearbeitet, als dass ich bereits jetzt loslassen könnte.» Im März wurde Bencic 28 Jahre alt. Die Deutsche Angelique Kerber hat ihre Karriere in Paris mit 37 beendet. Sie hatte ihre beste Phase in jener Zeit, die für Bencic nun beginnt. Diese sagt: «Ich denke, es liegt auch für mich noch einiges drin.»
Belinda Bencic orientierte sich bei ihrem Comeback nicht allein an früheren oder gegenwärtigen Konkurrentinnen. Als Vorbild nennt sie auch die Leichtathletin Allyson Felix, die sie inspiriert habe. Die amerikanische Sprinterin war 2018 Mutter einer Tochter geworden. Das hat ihre Karriere nicht beendet, sondern nur unterbrochen. Sie ist mit 14 Weltmeistertiteln die erfolgreichste Teilnehmerin bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften überhaupt – und mit sieben Gold-, drei Silber- sowie einer Bronzemedaille auch die erfolgreichste Leichtathletin bei Olympischen Spielen.

Belinda Bencic ist in den vergangenen Monaten nicht nur Mutter, sondern auch erwachsen geworden. Aus dem Kinderstar, der bereits mit 17 Jahren am US Open in den Viertelfinal stürmte und damit Erinnerungen an ihr Vorbild Martina Hingis weckte, ist eine reife Frau geworden. Der «Blick» zeigte sie damals in einer Fotomontage als Lady Liberty, als Freiheitsstatue. Nichts schien für sie unmöglich.
Doch die Erwartungen wurden für Bencic vorübergehend auch zur Belastung. Statt Siege häuften sich bei ihr die Verletzungen. Rückschlag folgte auf Rückschlag. Je länger der definitive Durchbruch auf sich warten liess, desto grösser wurden der Druck und die Zweifel, die auf ihr lasteten. Als sie sich im Frühjahr 2017 einer Handgelenk-Operation unterziehen musste, schien ihre Karriere ernsthaft in Gefahr. Im Ranking fiel sie bis auf Position 165 zurück. Ihr dominanter Vater Ivan, ein ehemaliger Eishockeyspieler, der sie seit früher Jugend gefördert und auch angetrieben hatte, schien zum Problem zu werden. Leute aus Bencics näherem Umfeld meldeten sich öffentlich und forderten sie auf, sich von ihm zu distanzieren und den Betreuerstab neu zu besetzen.
Die Eltern als Belastung im Tennis
Die Geschichte ist speziell im Tennis Evergreen und Dauerbrenner zugleich. Übermotivierte und ehrgeizige Eltern überfordern ihre Kinder mit ihren Erwartungen und werden zur Belastung. Monica Seles, Jelena Dokic, Mary Pierce, Mirjana Lucic, Jennifer Capriati oder auch Timea Bacsinszky – die Geschichte ist voll von Spielerinnen und auch Spielern, welche am Druck ihrer Eltern scheiterten. André Agassi bekannte nach seiner Karriere, dass sein Vater und dessen Erwartungen ihn dazu getrieben hätten, den Sport zu hassen. Der Amerikaner war vorübergehend in die Drogen abgerutscht, ehe er sich wieder fing. Wirklich genossen habe er das Tennisspielen erst im zweiten Teil seiner Karriere, als er aus eigenem Antrieb und nicht auf Geheiss seines Vaters gespielt habe.

Belinda Bencic gehört nicht in diese Kategorie. Sie stört sich daran, dass man sie und ihren Vater immer wieder mit den erwähnten Beispielen in Zusammenhang bringt. Bei einem Auftritt Anfang Januar in der Talkshow «Gredig direkt» des Schweizer Fernsehens sprach sie in bemerkenswerter Offenheit über das Verhältnis zu ihrem Vater. «Er hat mich von Anfang an begleitet, doch mit der Zeit wurde es etwas viel. Da liessen wir uns gegenseitig Raum. Doch auch wenn andere Trainer einen Teil seiner Rolle übernahmen: Ohne ihn wäre ich nie so weit gekommen. Ich fand es immer etwas unfair, dass man uns in die Nähe dieser Beispiele anderer Spielerinnen und Spieler rückte. Ich bin eine Person, die sich sehr gut wehren konnte und kann. Ich wollte Tennis spielen, ich wurde nie zu etwas gezwungen. Ich bin meinem Vater dankbar, dass er mich zuweilen auch gepusht hat. Ich habe das gebraucht.»
Mit beiden Beinen fest im Leben
Ivan Bencic ist auch nun, da Belinda mit dem Briten Iain Hughes zusammenarbeitet, weiterhin eine der wichtigsten Bezugspersonen im Umfeld seiner Tochter und regelmässig mit ihr unterwegs. Dass es ihm gelungen ist, sich selbst zurückzunehmen und seine Tochter in die Selbstständigkeit zu entlassen, verdient Respekt und Anerkennung. Doch wichtiger noch als diese teilweise Ablösung von ihrem Vater war ihr eigener Reifeprozess. Der Auftritt in der Sendung «Gredig direkt» hat Belinda Bencic einiges an öffentlichem Respekt verschafft. Sie hat sich dort als selbstsichere, gleichzeitig aber auch geerdete Frau präsentiert, die mit beiden Beinen fest im Leben steht.
Das war nicht immer so. Ihr ehemaliger Coach Dimitri Tursunow sagte einmal, Bencic müsse aufhören, sich selbst der grösste Feind zu sein. Das war natürlich übertrieben. Und doch stand sich die Ostschweizerin vor allem auf dem Tennisplatz oft selbst im Weg. Vor allem in der Anfangsphase ihrer Karriere sah man Bencic immer wieder als wütende, hadernde Spielerin, die sich selbst die Konzentration raubte. Sie sagt: «Ich habe auch in dieser Hinsicht Fortschritte gemacht. Doch ich werde nie eine völlig ruhige Spielerin sein. Ich habe diese Leidenschaft; das bin ich. Und es wird mir nie egal sein, ob ich gewinne oder verliere.» Neben dem Platz sei sie eine völlig andere Person. Ruhig und entspannt.
Den Entscheid, mit 27 Jahren ihr erstes Kind zu bekommen und dafür einen Unterbruch ihrer Karriere in Kauf zu nehmen, habe sie bewusst und zusammen mit ihrem Partner Martin Hromkovic gefällt. «Ich weiss, ich habe noch viel Zeit. Ich stehe heute etwa in der Mitte meiner Karriere», sagt die Ostschweizerin. Im Interview mit der NZZ sagte sie im vergangenen August: «Ich möchte noch mehr Kinder, sicher noch ein, vielleicht auch zwei weitere. Doch das hat Zeit. Ich plane nicht, ein zweites Mal eine Schwangerschaftspause von der Tour zu nehmen. Viele Spielerinnen, die auf die 30 zusteuern, fühlen sich plötzlich unter Druck, weil die biologische Uhr tickt. Dass ich bereits Mutter bin, nimmt auch in dieser Hinsicht etwas Druck von mir. Doch für weitere Kinder lasse ich mir Zeit, bis meine Karriere abgeschlossen ist.»
Der grosse Sieg in Tokio
Das sind erstaunlich nüchterne Worte von einer jungen Frau, die lange im Ruf stand, ihre Emotionen nicht immer im Griff zu haben. Bencic hat in den vergangenen Jahren einen Prozess durchgemacht. Geholfen dabei haben ihr fraglos die Olympischen Spiele 2021 in Tokio, wo sie Gold im Einzel und zusammen mit Viktorija Golubic Silber im Doppel gewann. Olympiagold ist ihr nicht mehr zu nehmen. Die Medaille war eine grosse Befreiung für Bencic. Sie erinnert sie daran, dass sich all die Entbehrungen und Schweisstropfen, die sie in ihrer Jugend auf sich genommen hatte, gelohnt haben.
Das war nicht immer so. In der Zeit, in der die Karriere nicht vorwärtszugehen schien und sich die Verletzungen mehrten, wuchsen auch ihre Zweifel. Lohnt es sich wirklich, so viel in den Tennistraum zu investieren? Bencic sagt: «Ich habe einen Moment lang nicht mehr für mich, sondern für die Öffentlichkeit Tennis gespielt. In dieser Phase verlor ich die Freude etwas und begann auch zu rebellieren.» Doch ausgerechnet ihre Verletzungspause half ihr danach, ihren Fokus wiederzufinden. «Ich merkte da, wie viel mir das Tennis wirklich bedeutet. Plötzlich gelang es mir auch wieder besser, auszublenden, was die Öffentlichkeit über mich denkt und sagt.»
Ein neuer Lebensinhalt
Nun, während ihrer Mutterschaftspause, gab es keine Zweifel mehr für Belinda Bencic. Natürlich, das sesshafte Leben zu Hause begann ihr zu gefallen. Sie packte ihre Koffer aus, aus denen sie seit ihrer Jugend mehr oder weniger gelebt hatte, und tat Dinge, wie sie andere Frauen ihres Alters tun. Sie traf sich mit Freunden, begann, Hobbys zu pflegen, und gewöhnte sich an das Leben in den eigenen vier Wänden. Vor ihrem Comeback sagte sie: «Mich wieder an das ganze Drumherum zu gewöhnen, das Packen, das Fliegen, die Reisen, bis man an den Turnieren ist: Das alles wird wahrscheinlich nicht einfach. Das Schwierigste aber wird wohl werden, wieder weniger zu Hause zu sein. Ich habe mich daran gewöhnt, wie ein normaler Mensch zu leben.»
Ab 2025: Mutterschutz im Tennis
Nun aber ist Belinda Bencic zurück auf der Tour. Die leisen Zweifel, die ihr Comeback begleitet haben, sind spätestens seit dem Turniersieg in Abu Dhabi weggewischt. Dank diesem ist sie im Ranking bereits wieder unter die besten 100 zurückgekehrt. Und Bencic ist fest davon überzeugt, dass die beste Zeit in ihrer Karriere noch vor ihr liegt. Es gibt mehrere Beispiele von Tennismüttern, die noch grosse Titel gewonnen haben. Bencic sagt, die Babypause habe nicht nur dem Kopf, sondern ihrem ganzen Körper gutgetan. Nach Jahren auf der Tour, in denen es kaum Pausen gegeben hatte, konnte sie sich für einmal richtig erholen.
Trotzdem ist nichts mehr so, wie es war. Bencic reist heute nicht mehr allein, sondern mit ihrer Tochter durch die Tenniswelt. Unterstützt wird sie dabei von ihrer Mutter und der Schwiegermutter, welche sich die Betreuung von Bella teilen. Wenn sie trainiert, nimmt sie die Kleine oft einfach mit auf den Court. Schon ist diese beinahe ähnlich bekannt und populär wie ihre prominente Mutter. Die Kameras in den Stadien suchen die Kleine.
Doch wie schützt Belinda Bencic die Tochter vor den neugierigen Augen der Öffentlichkeit und den Linsen der Kameras? «Wir sind uns einig, dass wir Bella, soweit es geht, abschirmen. Doch sie ist nun Teil unseres Lebens und reist mit uns. Ganz verstecken können und wollen wir sie nicht.» Belinda Bencic hat heute einen neuen Lebensmittelpunkt. Es dreht sich nicht mehr alles nur um den gelben Ball; im Zentrum steht die kleine Bella. Die Erkenntnis, die sie daraus gewonnen hat, ist ebenso schlüssig wie befreiend: «Tennis war mein Leben, und der Sport ist mir immer noch sehr wichtig. Doch ich weiss heute: Es gibt auch noch anderes als das Leben auf dem Court. Gleichzeitig begegne ich all den Fragen, die mit meiner Karriere zu tun haben, etwas lockerer und weniger verkrampft. Wenn ich auf dem Platz stehe, konzentriere ich mich zu 100 Prozent auf das Tennis. Gleichzeitig freue ich mich immer, danach nach Hause zu gehen und in mein neues Leben einzutauchen.» Heute sehe sie Tennis mehr als einen Job.
Doch Belinda Bencics Lebenssinn ist nun Bella.