Diese Woche sollte das Gstaader Swiss Open stattfinden. Zwei Weltkriegen trotzt das Tennisturnier, nicht aber dem Coronavirus. Wird das Turnier vermisst? Nein! Vor 25 Jahren wäre das anders gewesen.
Ortstermin: Dort, wo diese Woche Dominic Thiem aufschlagen sollte, liegt ein Sandberg. Der Centre Court wurde gar nicht erst aufbereitet. Wenig deutet daraufhin, dass normalerweise im Juli hier Spitzensport geboten wird und dass Gstaad bis vor 15 Jahren den wichtigsten alljährlichen Schweizer Sport-Event organisierte.
In seinen grössten Jahren setzte das Turnier Akzente. Nur wenige Events weltweit verfügen über noch mehr Tradition. In mancherlei Hinsicht erwiesen sich die Gstaader als Vorreiter: Sie bauten ein eigenes Fernsehstudio, sie holten als erster Schweizer Anlass Eurosport an Bord, der das gesamte Turnier übertrug. Gstaad produzierte als Novum das TV-Signal selber und stellte für die Sponsoren das erste VIP-Zelt auf.
Sportlich wurde feinste Kost geboten. 1968 und 1970 war Gstaad besser besetzt als Roland-Garros. 1973 wurde das Turnier zum «Wimbledon der Alpen», denn das Swiss Open verfügte über die stärkere Besetzung als Wimbledon, das damals von den Profis boykottiert wurde.
Unvergessenes 1998
Eng verbunden sind die Gstaader Errungenschaften mit dem 85-jährigen Jacques «Köbi» Hermenjat, der während 60 Jahren – zuerst als Ballboy (1946) und zuletzt als Turnierdirektor (1968 bis 2005) – für das Turnier schuftete. «Ich erhielt damals den Auftrag, Gstaad auch im Sommer auf die Landkarte zu setzen», erzählt Hermenjat. «Es wurde von mir erwartet, die Hotelzimmer zu füllen.»
Für Hermenjat ist es nicht einfach, den Höhepunkt des Turniers genau festzulegen, denn «es gab viele Highlights». War es 1998, als Boris Becker seine letzte Chance vergab, auf Sand doch noch ein Turnier zu gewinnen, und den Final gegen Alex Corretja verlor – und ausserdem Roger Federer als Juniorensieger von Wimbledon debütierte? Hermenjat: «Ja, womöglich war 1998 das beste Jahr. Damals war Gstaad samt Umgebung bumsvoll. Kein Hotelzimmer blieb mehr frei.»
Federer spielte bis zu seinem Triumph 2004 in Gstaad und kündigte anschliessend gegenüber den Organisatoren an, künftig zumindest nicht mehr jedes Jahr anzutreten. Seither spielte Federer bloss noch einmal mit.
Der Kardinalfehler...
Aber nicht primär Federers Abkehr leitete den schleichenden Abstieg des Swiss Open ein. 2005 übernahmen die Gemeinde Saanen und Swiss Tennis die Rechte von Hermenjat. Die Übernahme erfolgte im Unfrieden, anschliessend herrschte jahrelang «Krieg» (Zitat Hermenjat) zwischen den alten und neuen Machern.
Innerhalb der Organisation ging zuerst alles Know-how und schliesslich an der Council-Sitzung im Frühling 2006 auch der traditionelle Austragungstermin nach Wimbledon verloren. Dieser Kardinalfehler liess sich nicht mehr korrigieren.
Gewiss hätte es das Turnier im Saanenland in den heutigen Strukturen auch mit dem traditionellen Datum zu Beginn der Sommerferien nicht einfach gehabt. Vor dem Besitzerwechsel konnte es sich das Turnier sogar noch leisten, sich nicht um Rafael Nadal zu bemühen, weil man Federer diese Konkurrenz ersparen wollte.
... und andere Fehler
Der Wechsel des Datums schadete im Rückblick dem Turnier, es wurden aber weitere Fehler gemacht. Schon in den grossen Jahren musste das Gstaader Turnier lokale Anlässe wie Musiksommer, Cinémusic, Beachvolleyball und Polo-Turnier quersubventionieren. Mit dem Stellenwert sank in den letzten Jahren das Zuschauerinteresse – von gut 45'000 auf unter 20'000. Bei den Spielern ging Goodwill verloren, als eine zugesagte Startgarantie an Rainer Schüttler nicht ausbezahlt wurde. Den Zuschauern – und nicht nur den Tagestouristen – missfällt, dass das Spiel des Tages wegen des Fernsehens erst am Abend vor nicht mehr vollen Rängen über die Bühne geht.
Derartige Fehler unterliefen der einheimischen Führung der grossen Jahre unter Hans-Ruedi Schaerer (Präsident) und Hermenjat (Turnierdirektor) nicht. Ganz im Gegenteil: Da wurden Guillermo Vilas schon mal bei der Startgage 10'000 Dollar zusätzlich in die Hand gedrückt, wenn er in Begleitung von Prinzessin Caroline von Monaco nach Gstaad reiste.
Nun ein Bijou-Turnier
Wohlverstanden: Das Gstaader Tennisturnier übersteht nach den Weltkriegen, wirtschaftlichen Schwierigkeiten und vielen Wetterkapriolen auch die Coronavirus-Krise gesund, auch wenn es nicht mehr wie einst mehr als eine halbe Million Reingewinn erzielt. Das Turnier ist für den nächsten Sommer gesichert, bestätigt Turnierdirektor (und Xamax-Präsident) Jeff Collet. Gstaad figuriert ab dem 26. Juli im (provisorischen) Kalender.
Das Swiss Open sieht sich als Nischenturnier, als «Bijou» auf der ATP-Tour. Klein, aber fein! Oder wie in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum stand: «Das Turnier ist so gross, weil es so klein ist.»