Spezielle Jugenderlebnisse Ein ehemaliger Weggefährte über Roger Federer: «Er brach sogar Tabus» 

lbe

28.4.2021

Soll selbst seinen Trainern in früheren Jahren nicht immer gehorcht haben: Roger Federer.
Soll selbst seinen Trainern in früheren Jahren nicht immer gehorcht haben: Roger Federer.
Bild: Getty

Ein Genfer Sportjournalist, der einst auch mit Roger Federer auf dem Platz stand, gewährt in seinem Buch neue und spannende Einblicke in die Welt des 20-fachen Grand-Slam-Siegers. 

Mathieu Aeschmann ist einst selbst ein talentierter Tennisspieler, gewinnt in früheren Jahren gar den Schweizer Meistertitel bei den U14-Junioren und feilt anschliessend im Leistungszentrum in Ecublens an seinem Können. Dort kreuzt sich sein Weg in der Saison 1995/96 ein erstes Mal mit dem drei Jahre jüngeren Roger Federer.

Weil Aeschmann im Nachwuchs-Förderprogramm von Swiss Tennis nicht die erhofften Fortschritte macht, muss er oft mit den jüngeren Talenten trainieren – und lernt den Baselbieter auch deshalb besser kennen. Rund 25 Jahre später teilt er die bleibenden Eindrücke in seinem neu veröffentlichten Buch: «Denken und handeln wie Roger Federer.»



«Federer trägt keine Maske»

«Zuerst zögerte ich, weil ich dachte, über seine menschliche Entwicklung zu schreiben, sei nicht mein Ding», sagt Aeschmann im Gespräch mit dem «Tagesanzeiger» zu seinem jüngsten Werk, das zu einer Serie des Pariser Verlags «Les Éditions de l’Opportun» gehört. Darin durchleuchtet der 42-Jährige den Charakter des Baselbieters aus unterschiedlichen Perspektiven.

«Es sind kleine Sachen, die ihn so faszinierend machen. Wie seine Menschlichkeit, sein Interesse an anderen Menschen, seine Aufrichtigkeit. Federer trägt keine Maske, bleibt immer sich selbst treu. Er nimmt sich für alles Zeit, kann gut zuhören und macht nie zwei Dinge gleichzeitig», unterstreicht Aeschmann. Dazu sei Federer ein «Meister des Moments», was sich auch auf dem Court zeige. «Er schafft es, dem Tennisball im letzten Moment noch eine andere Flugbahn zu geben. Er ist immer voll und ganz da.»

Keinen übermässigen Respekt

Während Federer bei dessen Ankunft in Ecublens 1995 gemäss Aeschmann wohl noch der Schlechteste im Leistungszentrum gewesen sei, habe ihn seine entspannte, humorvolle aber zeitgleich ehrgeizige Art schon damals ausgemacht. «Einmal sah er ein Plakat von Pete Sampras von den Swiss Indoors 1996. Da sagte er: Ihn werde ich in drei Jahren schlagen. Alle brachen in Gelächter aus. Aber er schlug Sampras fünf Jahre später tatsächlich.»



Ohnehin ist übermässigen Respekt für Teenager Federer nicht angebracht. «Er brach sogar Tabus. Wenn er um 11:50 Uhr ins Restaurant ging, setzte er sich einfach irgendwo hin, ohne die übliche Sitzordnung zu respektieren.» Ähnlich habe es sich auch mit seinen Trainern verhalten, denen er nicht immer bedingungslos gehorcht habe. Ein Beispiel: «Als Christophe Freyss von den Spielern einmal forderte, nur Longline-Passierbälle zu trainieren, spielte Roger immer wieder Cross. Er hatte keine Angst davor, die Autoritäten herauszufordern.»

Und selbst in den Plausch-Fussballspielen ist Federers gesundes Selbstvertrauen bereits zu erkennen. «Er bevorzugte es, in Zwei-gegen-eins-Situationen selber den Abschluss zu suchen», erzählt Aeschmann. Federers Verhalten habe teilweise auch arrogant gewirkt. «Etwa als er sagte, die fünf Minuten beim Aufwärmen reichten ihm, um Stärken und Schwächen eines Gegners zu erkennen.»

Das Wiedersehen in Paris

Erst viel später kreuzen sich die Wege von Federer und dem mittlerweile als Radioreporter im Einsatz stehenden Aeschmann. Und zwar im Presseraum bei den French Open in Paris. Federer habe ihn sofort erkannt und sich erkundigt, was er hier mache. «Er erinnerte sich sogar noch an einen Flugball von mir aus unserer Partie», so Aeschmann.

Imponierend ist für den Genfer aber in erster Linie die Lockerheit und Leichtigkeit, die der Maestro nach wie vor an den Tag legt: «Je mehr man sich ihm annähert, desto mehr offenbart der Stern Roger die Züge eines ewigen Kindes, das fähig ist, jeden Moment in vollen Zügen zu leben.»

Doch genau diese Fähigkeit, sich selbst nicht immer ganz so ernst zu nehmen, ist womöglich der benötigte Gegenpol zur Kompromisslosigkeit, mit der er seinen Traumberuf ausübt – und eines der vielen Erfolgsgeheimnisse des 20-fachen Grand-Slam-Siegers.