Wimbledon-Blog «Game, Set and Match Müller»

Aus Wimbledon: Roman Müller

15.7.2018

Ein Ausblick, den ich vermissen werde. 
Ein Ausblick, den ich vermissen werde. 
Bild: Getty Images

Jedes Abenteuer hat irgendwann ein Ende und so endet nun auch mein erster und wahrscheinlich letzter Besuch als Wimbledon-Journalist. In meinem letzten Blog-Eintrag schaue ich nochmals zurück auf zwei unvergessliche Wochen.

Meine Gastmutter Judy fragte mich, ob es mir kurz oder lang vorkam und ich muss sagen, es war definitiv beides: Einerseits verging die Zeit im Fluge, andererseits habe ich so viel erlebt, dass dies gar nicht in kurzer Zeit möglich war. Zwei Wochen Arbeit, die so grossen Spass machte, dass man sie eigentlich gar nicht als solche bezeichnen darf. Wobei, es ist eher der Arbeitsort, der so speziell ist und die Dinge, die ständig um einen herum passieren sowie die Tennis-Prominenz, von der es hier nur so wimmelt. So habe ich etwa auf dem Balkon die achtfache ehemalige Grand-Slam-Siegerin Kim Clijsters getroffen, habe den Bass von Kader Nounis Stimme neben mir gespürt (Kader Nouni ist quasi der Barry White der Stuhlschiedsrichter) oder im Restaurant neben Mats Wilander ein Sandwich gegessen. Apropos Restaurant. Mein Journalisten-Kollege S.H. (Name d. Red. bekannt) hat mir während diesen zwei Wochen vorgeworfen, dass ich wohl mehr Zeit in den Restaurants verbringe, als an den Pressekonferenzen. Deshalb, mit Augenzwinkern, hier meine persönliche Top 5 der Wimbledon-Köstlichkeiten:

Top 5 Wimbledon-Köstlichkeiten

  • Japanese Katsu Curry (Walled Garden)
  • Portabello Mushroom And Goat’s Cheese Burger (The Baseline Grill)
  • Avocado Pear With Marie Rose Prawns (Café Pergola)
  • Brixham Fish Pie (The Conservatory Kitchen)
  • Sicilian Stone Oven Pizza (Pizza Stand)
Hat auch einen Titel gewonnen: Der «Walled Garden» obsiegt in meinem Restaurant-Test
Hat auch einen Titel gewonnen: Der «Walled Garden» obsiegt in meinem Restaurant-Test
Bild: ZVG

Man muss fairerweise sagen, dass er sich für seine Aussage bei einem Kaffee entschuldigt und wir ein ganz nettes Gespräch hatten. Allerdings musste ich die Rechnung übernehmen, da das Tagesbudget an Spesen auf seinem Journalisten-Badge bereits aufgebraucht war. Trotzdem werde ich auch gewisse Journalisten hier etwas vermissen.

Natürlich meinen Sitznachbarn Ni, der «Mobile Influencer», der in der ersten Woche das Büro hauptsächlich zum Schlafen benutzte und in seinem Spind immer den ganzen Krimskrams verstaute, den er bei seinen täglichen Einkaufstouren erstattete. Vorgestern etwa stopfte er diesen mit etwa 10 Wimbledon-Teddybären voll. Er schaffte es gerade noch so, den Schlüssel umzudrehen. Dann natürlich der legendäre Ubaldo Scanagatta, der mit seinen endlos komplizierten Fragen die Athleten regelmässig zur Verzweiflung brachte. Zum Schluss sorgte er aber auch für einen herzhaften Lacher, als er Novak Djokovic fragte, ob er nach seinem Turniersieg die Hälfte des Preisgeldes dem Chirurgen abgeben wird, der seinen Ellbogen operiert hatte. Oder das wäre noch der Brite Jake, der jeden Abend in unserem Büro im Stile eines Markschreiers lauthals verkündete, auf welchem Platz morgen welche Spiele stattfinden werden. Total unnötig und nervig, aber irgendwie legendär.

Ihr dürft mich nun «Sonnengott» nennen

Nicht zu vergessen das Mädchen, das mich auf dem Weg von meiner Unterkunft zur Anlage immer nett gegrüsst hat, nachdem ich ihr mal 10 Pfund Trinkgeld für ein 80 Penny kostendes Wasser gegeben habe – der Erlös ihrer Verkaufsaktion war für einen guten Zweck. Ich werde auch die euphonische Männerstimme vermissen, welche die Besucher jeden Morgen mit folgendem Satz begrüsste: «Good morning Ladies and Gentlemen. On the behalf of the All England Lawn Tennis Club, may I offer you a very warm welcome here at Wimbledon …» und natürlich meine grossartigen Gastgeber, Judy und Joe, die ich vom ersten Tag an ins Herz geschlossen hatte und mich stets mit lustigen Anekdoten versorgt haben. Im Übrigen verpasste mir Judy in den letzten Tagen den Beinamen «Sonnengott», weil es dieses Jahr so heiss war und nur ein einziges Mal ein paar Tröpfchen regnete.

Der Gegensatz zu «Erdbeeren auf dem Centre Court». Ein «Pimm's» auf dem Henman Hill. 
Der Gegensatz zu «Erdbeeren auf dem Centre Court». Ein «Pimm's» auf dem Henman Hill. 
Bild: ZVG

Trotz der Arbeit und den regen Restaurant-Besuchen hatte ich die Möglichkeit, einige von den 675 Spielen zu sehen. Auf dem luxuriösen Centre Court, aber auch aus nächster Nähe auf den kleinen Aussenplätzen. Ich schaute Roger Federer beim Training zu oder konnte Leonie Küng, die Schweizerin, die es bei den Junioren überraschend in den Final schaffte, interviewen. Ich konnte die überteuerten Erdbeeren kosten (sieben Stück für umgerechnet vier Franken) und habe mir hin und wieder auf dem sagenumwobenen Henman Hill einen der über 300’000 Becher Pimm’s gegönnt, die hier jedes Jahr über die Theken gehen – selbstverständlich nur nach Feierabend. Und das werde ich auch heute Abend nochmals tun, bevor ich mit viel Wehmut, Stolz und Demut die Anlage verlasse. Für mich persönlich waren die zwei Wochen hier ein absoluter Triumph, den ich nie vergessen werde. Game, Set and Match Müller. Danke Wimbledon!


Über den Autor
Roman Müller arbeitet seit bald 20 Jahren als Sportjournalist. Er ist seit früher Kindheit mit dem Tennissport verbunden. Als Spieler hat er es nie über R8 herausgebracht, trotz seiner gefürchteten Vorhand und wohl auch wegen kaum vorhandener Trainingsdisziplin. Als Tennisfan ist er jedoch als N1 einzustufen. Er ist stolzer Besitzer von 36 Roger-Federer-Caps, die er nicht sammelt, sondern trägt und somit natürlich befangen ist, was das Thema RF anbelangt. Seine Lieblingsfarben sind Violett und Grün, seine Lieblingszahlen 15, 30 und 40.

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