Langjähriger Wegbegleiter Heinz Günthardt: «Roger Federer hat meinen Lebensrhythmus bestimmt»

Von Roman Müller (Video) und Syl Battistuzzi (Text)

17.9.2022

Heinz Günthardt: «Roger Federer hat meinen Lebensrhythmus bestimmt»

Heinz Günthardt: «Roger Federer hat meinen Lebensrhythmus bestimmt»

Heinz Günthardt hat Roger Federer während seiner gesamten Karriere als Kommentator begleitet. Er blickt zurück auf Höhenflüge und Tiefschläge.

16.09.2022

Heinz Günthardt hat Roger Federer während seiner gesamten Karriere als Kommentator begleitet. Er blickt im Gespräch mit blue Sport zurück auf Höhenflüge und Tiefschläge.  

Von Roman Müller (Video) und Syl Battistuzzi (Text)

17.9.2022

Die Nachricht von Federers Rücktritt erreichte Heinz Günthardt in Schweden. «Überraschend ist es nicht gekommen», meint er. Aber man werde schon ein «wenig emotional», wenn es zur Tatsache wird, so der 63-Jährige. 

Federers Statement – ein offener Brief sowie eine Audio-Nachricht – sei handwerklich «hervorragend gemacht», auch wenn noch «ein paar Emotionen mehr» mit einem Video rübergekommen wären, so seine Einschätzung. 

Als Abschied durch die Hintertür – Federer beendet offiziell nächste Woche am Laver Cup seine Spielerkarriere – will Günthardt es nicht bezeichnen. «Lieber irgendwo auftreten als gar nicht», lautet sein Urteil. Den Zeitpunkt habe Federer optimal gewählt, auch wenn ein Rücktritt unter diesen Umständen sicher nicht seine Wahl gewesen sei. 

In Basel seinen Rücktritt zu geben war gemäss Günthardt keine gute Option. «Tennis ist eine Weltsportart, die Leistungsdichte und das Niveau sind hoch, man muss selbst in der ersten Runde bei hundert Prozent sein, um mitspielen zu können.» 

Federers weltweite Strahkraft

Federer habe in seiner Heimat grosse Spuren hinterlassen. «Er hat bewiesen, dass man es aus der kleinen Schweiz schaffen kann, eine Weltsportart zu beherrschen», resümiert Günthardt. Dies sei auch inspirierend für andere Sportarten. Schliesslich seien hierzulande Grundlagen wie Infrastruktur oder gute Coaches vorhanden. «Wenn ich das nötige Talent und den Willen habe, kann ich in der Schweiz Profisportler werden.»

Welche Faktoren machten das Gesamtpaket Federer aus? «Sicher verfügt er über sehr viel Talent, was Bewegungen, Ballgefühl und Timing anbelangt. Aber er hat auch sehr viel Wille und Arbeit reingesteckt, um auf dieses Niveau zu kommen.» Doch nicht nur sportlich überzeugte Federer die Leute. Ein grosses Plus sei seine Fähigkeit gewesen, überall den Leuten auf der Welt das Gefühl zu geben, er sei einen von ihnen. Geholfen habe ihm dabei auch seine Mehrsprachigkeit und seine Eloquenz.

Roger Federer als perfekter Botschafter für die Schweiz.
Roger Federer als perfekter Botschafter für die Schweiz.
Getty

In fünfzig Jahren werde man sicher noch Videos von ihm anschauen, prognostiziert Günthardt. «Der Tennissport wird sich weiterentwickeln, aber es gibt gewisse Grenzen, was man auf diesem Viereck machen kann. Er hat wohl mehr auf dem Platz gezeigt, als sonst jemand – ich weiss nicht, ob es jemand gab, der inspirierender war fürs Tennis als Roger über die letzten zwanzig Jahre.» 

Die glücklichen Umstände

Ebenso verbunden mit der Sportart ist Günthardt selbst. Er war Spieler, Trainer (unter anderem von Steffi Graf oder Ana Ivanovic) sowie Fed-Cup-Teamchef. Am längsten war er aber als Kommentator beim Schweizer Fernsehen tätig (1985-2021). Zwei Drittel seiner Zeit beim SRF überschnitten sich auch mit der Karriere von Federer. Das Fazit von Günthardt: «Roger Federer hat meinen Lebensrhythmus bestimmt.»

«Ich bin über zwanzig Jahre extrem beeinflusst worden von ihm. Es war aber nie ein Gefühl des Müssens, ihm irgendwo nachzureisen, sondern es war stets spannend und emotional, ihn live vor Ort zu verfolgen.» Ausser selber zu spielen sei dies das Beste gewesen. Günthardt zeigt sich dankbar: «Ich hatte so einen Dusel, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein.»

Der emotionalste Federer-Moment? Es habe natürlich sehr viele Highlights erlebt. 2017 in Australien gehöre sicher dazu, weil man da nicht mit einem Sieg habe rechnen können, so Günthardt. Emotionale Momente seien aber auch bei Niederlagen der möglich. «Das Final in Wimbledon 2008 – von vielen als bestes Match aller Zeiten bezeichnet – war einzigartig. Wir waren wegen des Regens insgesamt neun Stunden auf Sendung, Federer lag 0:2-Sätze zurück und irgendwann wurde es dunkel.» Solche Erlebnisse würden in Erinnerung bleiben, auch wenn Federer da nicht gewonnen habe, betont Günthardt. 

Was kommt nun nach Federer? «Ist er nicht schon da – Alcaraz», feixt Günthardt. «Aber er spielt natürlich nicht so schön und elegant wie Federer», ergänzt der Zürcher schmunzelnd. 


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