Schon bevor die historische Chance auf den Grand Slam endgültig vergeben war, konnte Novak Djokovic die Tränen nicht zurückhalten.
Gut zwei Stunden lang hatte so wenig wie selten zuvor in einem grossen Finale für den Weltranglistenersten geklappt, beim letzten Seitenwechsel brach es dann auf der Bank sitzend aus dem Serben heraus und er heulte bitterlich in sein Handtuch.
Ein Schlag ins Netz beendete einige Minuten später endgültig alle Träume vom Grand Slam in einem Kalenderjahr. In Melbourne, Wimbledon und Paris hatte er 2021 bereits gewonnen, der komplette Triumph mit einem weiteren Erfolg in New York aber blieb ihm verwehrt. 4:6, 4:6, 4:6 unterlag der 34 Jahre alte Serbe dem Russen Daniil Medwedew am Sonntag (Ortszeit). Die einzige Niederlage bei einem Grand-Slam-Turnier in diesem Jahr war bitter und unerwartet deutlich.
Als Djokovic das Mikrofon ergriff waren seine Augen noch immer feucht, womöglich auch schon wieder – so sehr beschäftigten den 34-Jährigen die Umstände. «Mein Herz ist gefüllt mit Freude und ich bin der glücklichste lebende Mann, weil ihr mir das Gefühl gegeben habt, speziell zu sein», sagte Djokovic in Richtung des Publikums. «Ihr habt meine Seele berührt. Ich habe mich in New York noch nie so gefühlt. Danke euch vielmals. Ich liebe euch und ich sehe euch bald wieder.»
«Sorry Novak und Fans. Wir wussten alle, was er heute versucht hat, zu erreichen», sagte Medwedew in seiner Rede bei der Siegerehrung zu seinem ersten Grand-Slam-Erfolg und sprach dann direkt zu seinem unterlegenen Kontrahenten. «Ich habe das noch nie zu jemandem gesagt, aber ich sage es jetzt zu dir: Für mich bist du der grösste Tennisspieler der Geschichte.» Rod Laver, der 1969 alle Grand-Slam-Turniere gewann, bleibt aber der letzte Mann, dem das gelungen ist.
Wie in den vorausgehenden Runden verlor Djokovic den ersten Satz – dass er aber direkt sein erstes Aufschlagspiel an Medwedew abgeben musste, war ungewöhnlich. Nach lediglich 36 Minuten lag er 0:1 zurück gegen einen Gegner, der alles im Griff hatte. Selbst drei Breakbälle für Djokovic und die ungeniert für den Serben jubelnden Zuschauer zu Beginn des zweiten Durchgangs brachten den 25-Jährigen nicht aus der Ruhe. Aus 0:40 machte er das 1:1. Djokovic haderte immer wieder sichtbar und wirkte mental nicht so souverän wie noch beispielsweise beim Halbfinalsieg gegen Alexander Zverev.
Als Medwedew einen neuerlichen ersten Aufschlag quasi geschenkt bekam, weil mitten im Ballwechsel über die Stadionlautsprecher plötzlich Musik spielte und der Schiedsrichter unterbrach, war Djokovic aufgebracht. Als er kurz darauf auch seine zweite Breakchance nicht nutzte, zerstörte der Weltranglistenerste nach gut einer Stunde Spielzeit völlig gefrustet seinen Schläger. Es kam noch schlimmer: Medwedew schnappte sich keine zehn Minuten später das nächste Break zum 3:2 und hüpfte euphorisiert in Richtung Bank.
Was auch immer Djokovic machte, der 1,98 Meter grosse Medwedew war in zu vielen Situationen flink genug und gut genug für eine Antwort. Nach 90 Minuten hatte er den zweiten Satz gewonnen.
Djokovic dagegen war weit von seiner Bestform entfernt und gab im dritten Satz seine beiden ersten Aufschlagspiele ab. Enge Situationen, sonst seine Stärke, gingen nahezu immer zugunsten Medwedews aus. Dazu kamen verschenkte Punkte in Situationen, in denen ein Novak Djokovic an einem normalen Tag keine Punkte verschenkt. Nach einem Shirtwechsel Djokovics vergab Medwedew zwar seinen ersten Matchball, wenige Minuten später aber sank er zu Boden – als Sieger.