Daniil Medvedev ist der grosse Star beim Geneva Open. In Wimbledon ist die Nummer 2 der Welt als Russe hingegen unerwünscht. Etwas überraschend zeigt er sogar Verständnis dafür.
Als Russe hat man es derzeit nicht leicht. Die Tennisspieler haben dabei noch Glück, im Gegensatz zu vielen anderen Sportlern dürfen sie ihren Beruf weiter ausüben. So gibt Daniil Medvedev, der Ende Februar für drei Wochen sogar die Nummer 1 war, beim ATP-Turnier in Genf sein Comeback und Saisondebüt auf Sand nach einem Leistenbruch. Ausgerechnet beim wichtigsten Termin im Tenniskalender, in Wimbledon, darf der 26-jährige Moskauer aber nach dem Ausschluss aller Russen und Belarussen nicht antreten.
Medvedev ist ein blitzgescheiter und eloquenter Mensch. Am Sonntag in Genf wich er auch unangenehmen Fragen nicht aus und berichtete in fliessendem Englisch und Französisch über seine Gefühlslage. Als der Bann von Wimbledon beschlossen wurde, befand er sich im Aufbautraining. «Ich habe deshalb noch nicht persönlich mit anderen Spielern gesprochen.» Gedanken gemacht hat er sich aber natürlich schon.
Unfair und doch verständlich
Ist der Entscheid, die Russen von Wimbledon auszuschliessen unfair oder verständlich? Medvedev überlegt kurz und antwortet sehr differenziert: «Es ist beides. Unfair, weil wir Russen auf der ATP-Tour Einzelkämpfer sind und andere Russen in England auch arbeiten dürfen.» Es sei «tricky», stellt er aber auch fest. «Wo zieht man die Linie, wann Spieler ausgeschlossen werden? Ich kann den Entscheid von Wimbledon deshalb auch verstehen.» Zu den Ereignissen in der Ukraine sagt Medvedev nur: «Es ist traurig.»
Für den Moment versucht er, das Beste aus der Situation zu machen. «Wenn ich in Wimbledon spielen könnte, wäre ich glücklich, denn ich liebe das Turnier. Wenn nicht, spiele ich woanders und versuche, mich auf das nächste Jahr vorzubereiten, wenn ich hoffentlich wieder dabei sein kann.» Zunächst steht aber noch eine verkürzte Sandsaison an.
Medvedev nahm die Wildcard für das Geneva Open an, um vor dem am Sonntag beginnenden French Open noch etwas Spielpraxis zu sammeln. «Hoffentlich mehr als ein Spiel», wie er schmunzelnd betont. «Ich hatte immer Mühe, auf Sand meinen Rhythmus zu finden.» Tatsächlich ist Sand die schlechteste Unterlage für den ehemaligen Mathematik-, Physik- und Wirtschaftsstudenten. Keinen seiner 13 ATP-Titel gewann er auf dem roten Belag, nur einer von 23 Finals – 2019 in Barcelona gegen Dominic Thiem – war auf Sand. «Es ist wichtig, nicht gleich mit Best-of-5-Matches wie beim French Open einzusteigen.»
Reelle Chance auf die Nummer 1
Zwar spielt Medvedev erstmals in Genf, er kenne und schätze die Stadt aber und habe nur Gutes über das Turnier gehört. Die Anreise vom Wohnort Monte Carlo war auch nicht weit. Im Falle des Turniersieges würde der Fan von Bayern München zudem wieder bis auf 430 ATP-Punkte an den Weltranglistenersten Novak Djokovic heranrücken.
Auch sonst besteht eine reelle Chance, dass Medvedev bis Wimbledon wieder die Nummer 1 sein könnte. Er hat in Paris «nur» 360 Punkte für den letztjährigen Viertelfinal zu verteidigen, Djokovic als Titelverteidiger deren 2000. Es wäre vermutlich erneut ein kurzes Gastspiel an der Spitze, da er ja in Wimbledon zwangsläufig leer ausgehen wird.
Das erste Mal wurde er nach nur drei Wochen – und einer Drittrunden-Niederlage in Indian Wells – wieder verdrängt. Medvedev zeigt sich stolz über die Nummer 1 («Das kann mir keiner mehr nehmen»), so richtig genossen hat es der US-Open-Champion des letzten Jahres und Finalist beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres in Australien aber nicht. «Es war ja nur kurz, und so richtig gut gespielt habe ich in der Zeit nicht», stellt er fest. Aber immerhin gebe es genügend Legenden des Tennis, die dies nie geschafft hätten.
Er habe die Pause danach auch gebraucht, um den Kopf wieder frei zu kriegen. Mit dem Davis-Cup-Sieg Russlands endete die letzte Saison spät, die Vorbereitung auf die aktuelle war entsprechend (zu) kurz. Nun zeigt sich Medvedev aber wieder frisch und top motiviert.
Von gelben und grünen Tennisbällen
Und nun wird er auch sicher wieder mit seinen Berufskollegen über die Situation von sich und anderen Spitzenspielern aus Russland und Belarus wie Andrej Rublew, Aryna Sabalenka oder Viktoria Asarenka sprechen. Medvedev macht sich keine Illusionen. «Ich habe ja keinen Einfluss auf den Entscheid von Wimbledon. Ich kann nur meine Meinung sagen.» 100 Spieler würden wohl 100 verschiedene Meinungen dazu haben.
Darüber streiten will Medvedev nicht. Er zieht einen bemerkenswerten Vergleich: «Wenn ich 100 Leuten einen Tennisball zeige, gibt es sicher ein paar, die sagen, er sei grün. Ich denke, er ist gelb, aber ich werde deswegen keine Diskussion anfangen.» In Genf kann er sich immerhin darauf verlassen, dass die Bälle tatsächlich gelb und die Plätze rot sind.
sda