Kommentar US-Open-Bilanz: Der Abschied auf Raten ist eingeläutet

René Weder

10.9.2018

Bencic, Federer, Bacsinszky, Wawrinka: Neben wenigen Glücksgefühlen, sorgten die besten Schweizer Spieler der letzten Jahre für grosse Ernüchterung bei den Fans.
Bencic, Federer, Bacsinszky, Wawrinka: Neben wenigen Glücksgefühlen, sorgten die besten Schweizer Spieler der letzten Jahre für grosse Ernüchterung bei den Fans.
Bild: Getty Images

Das Buch der US Open 2018 ist geschrieben. Es beinhaltet auch ein Kapitel zum Abschneiden der Schweizer Spieler. Schlecht war das nicht, aber wir bekommen unweigerlich aufgezeigt: Wir sind auf dem Weg zurück in die Normalität.

Das Drama des Finalwochenendes ging bereits am Samstag über die Bühne, als Serena Williams mit dem Schiedsrichter ins Gehege kam und sich auch nicht beruhigte, als das Spiel längst entschieden und die neue Turniersiegerin Naomi Osaka hiess. Das Endspiel der Männer hielt dann nicht mehr die packende Dramaturgie des Frauenfinals bereit – und mit dem verdienten Sieger Novak Djokovic ebenso keine wirkliche Überraschung.

Die Schweizer reisen mehrheitlich enttäuscht aus New York ab. Zwei Spieler darf man ausklammern: Stan Wawrinka zeigte, dass er trotz seiner zahlreichen Verletzungen immer noch den Biss hat, grosse Spiele zu gewinnen und starke Gegner zu schlagen. Sein eindrucksvoller Auftritt in Runde 1 gegen einen desolaten Grigor Dimitrov lässt hoffen. Das Aus gegen Milos Raonic kann passieren, wäre aber zu vermeiden gewesen. Seit rund drei Monaten zeigt die Formkurve des Waadtländers nach oben.

Ob der dreifache Grand-Slam-Sieger aus Lausanne hingegen an die ganz grossen Tage anknüpfen kann, darf zumindest bezweifelt werden. Nur wenn Wawrinka es schafft, sein Selbstvertrauen mit der wiedererlangten physischen Stärke zu beflügeln, scheinen konstante Leistungen im Verlaufe einer Turnierwoche realistisch.

Ein Exploit bei den Schweizer Frauen – das wars dann aber auch

Die zweite Ausnahme heisst Jil Teichmann: Die 21-Jährige aus dem Berner Seeland verblüffte in der Startrunde gegen die deutlich besser rangierte Dalila Jakupovic, scheiterte dann aber an Halep-Bezwingerin Kaia Kanepi aus Estland. Es sollte die einzige positive Meldung aus Schweizer Sicht bleiben.

Zwar konnte auch Patty Schnyder erhobenen Hauptes aus Amerika abreisen: Maria Scharapowa war in der ersten Night-Session schlicht und einfach eine Nummer zu gross. Viktoria Golubic, Timea Bacsinszky, Belinda Bencic und Stefanie Vögele enttäuschten dagegen unmittelbar zum Auftakt. Gerade Bacsinszky und Bencic lassen die Fans ratlos zurück: Auch mit neuen Trainern und neuen Methoden fällt der Erfolg bescheiden aus. Die Fragen sind: Kriegen die beiden besten Schweizer Spielerinnen der letzten Jahre ihre Verletzungsanfälligkeiten in den Griff und wie steht es um die mentale Verfassung nach den ausbleibenden Erfolgserlebnissen? 

Knackpunkt oder Ausrutscher?

Und nun zu Roger Federer: In Erinnerung bleibt zweifelsfrei sein Auftritt gegen Nick Kyrgios, insbesondere der sagenhafte Winner im dritten Satz, der es in jede Highlight-Show des letzten Jahrzehnts schaffen wird.

Was dann folgte, wird den Fans derweil möglicherweise als Knackpunkt in Erinnerung bleiben. Gegen den soliden aber nicht übermächtigen John Millman war Federer am Ende des vierten Satzes nur noch ein Schatten seiner selbst. Selten hat man den Maestro dermassen verschwitzt und ausgelaugt gesehen.

Wir nehmen alles, was noch kommt

Gewiss waren die Bedingungen ausserordentlich fordernd, aber es war eben auch zu sehen, dass Jahrhundertathlet Federer nicht sämtliche Gesetze der Natur auszuhebeln vermag. Abschreiben darf man den 20-fachen Major-Titelhalter freilich nicht, Turniere kann er immer noch gewinnen. Zwei Triumphe fehlen ihm noch bis zur magischen 100er-Grenze. Aber der Optimismus war schon grösser.

Für Federer geht es nun mit dem Laver Cup in Chicago weiter (21. - 23 September). Danach ist das Programm offen: Teilnahmen auf der Asientour sind nicht zuletzt wegen Sponsorenverpflichtungen denkbar. Dann folgen die Hallenturniere in Europa. Basel ist gesetzt, Stockholm und Paris möglich. Sicher wird Federer aber bei den World-Tour-Finals am Start sein. Wie Nadal und Djokovic hat sich der Australian-Open-Sieger bereits dafür qualifiziert. Was 2019 folgt, ist nicht prognostizierbar. Wir nehmen alles, was noch kommt. Aber der Abschied auf Raten ist definitiv eingeläutet. Das schmerzt besonders, weil wir in den letzten 15 Jahren verwöhnt wurden, wie kein anderes Tennis-Land.

Zurück zur Startseite