China schien für die WTA und das Frauentennis die ultimative Goldgrube zu sein. Corona und der Fall Peng Shuai machten diese Hoffnungen zunichte. Ein Ausweg ist derzeit nicht erkennbar.
Wer dieser Tage Profi-Tennisspielerinnen auf ihr weiteres Programm anspricht, erhält fast unweigerlich einen leicht säuerlichen Blick zurück. «Viel hat es ja nicht mehr», meinte Jil Teichmann nach ihrem Ausscheiden am US Open stellvertretend für viele. Tatsächlich ist das Angebot auf der WTA Tour eher mager. Der Wegfall der Turniere in China ist kaum zu kompensieren.
Unabhängig von Corona hatte die WTA bereits im letzten November den mutigen Schritt gemacht, alle Turniere in China auszusetzen. Grund war die Ungewissheit um die vormalige Spitzenspielerin Peng Shuai. Die Chinesin hatte in den sozialen Medien den Vorwurf erhoben, von einem ehemaligen Vize-Premierminister, mit dem sie eine Beziehung gehabt habe, sexuell missbraucht worden zu sein.
Der Eintrag auf Weibo wurde schnell wieder gelöscht, Peng verschwand aus der Öffentlichkeit. Die WTA verlangte eine Untersuchung der Vorwürfe, China wollte davon nichts wissen. Also fasste die WTA den Entschluss, sich aus China zurückzuziehen. Ein Entscheid mit millionenschweren Konsequenzen.
30 Millionen Dollar verloren
Der Vergleich zu 2019, dem letzten Jahr vor Corona, ist frappant. 32,8 Millionen Dollar (inklusive WTA Finals) gab es da im Herbst nach dem US Open bis zum Saisonende an Preisgeldern zu gewinnen – 30 Millionen davon bei Events in China. In diesem Jahr sind es bei noch elf Turnieren nur gerade 5,8 Millionen Dollar. Dazu kommen noch die WTA Finals, deren Preisgeld noch nicht bekannt ist. Im letzten Jahr in Guadalajara waren es 5 Millionen statt der 14 von 2019 in Shenzhen. Dem Vernehmen nach musste die WTA einen grossen Teil der 5 Millionen aus der eigenen Kasse locker machen.
Das Masters zeigt das Dilemma bestens auf. Stolz gab die WTA 2019 einen Zehnjahresvertrag mit dem Immobilien-Entwickler Gemdale Corporation bekannt, der das Turnier der besten acht Spielerinnen des Jahres in die südchinesische Wirtschaftsmetropole Shenzhen brachte. Teil des Deals: ein jährliches Preisgeld von 14 Millionen Dollar – doppelt so viel wie bei den damaligen ATP Finals in London. Fast ein Dutzend Turniere fanden 2019 in China statt, dazu macht die starke Präsenz im wichtigen Markt das Frauentennis auch für ausländische Sponsoren attraktiv. Doch nun hat der Wind gedreht. Der starke Fokus auf China wird zur Falle.
Festhalten an Prinzipien
Im Moment verhindert die Null-Covid-Politik Chinas, die internationale Sportevents praktisch verunmöglicht, eine ernsthafte Diskussion darüber, ob die WTA in ihrem Entschluss standfest bleiben würde. Die Spielerinnen-Vereinigung vermeidet auch (noch) die unangenehme Frage, was mit Schadenersatzforderungen aus China wegen Vertragsbruchs passieren würde. Die WTA konnte oder wollte diese Fragen diese Woche in New York nicht beantworten.
Entschieden wurde hingegen, dass das in Shenzhen vorgesehene Masters in diesem Jahr in Texas stattfinden wird. In der entsprechenden Medienmitteilung steht ein ominöser Satz, der das Dilemma illustriert. «Nach der Austragung 2022 (...) soll das Turnier in Zusammenarbeit mit unserem langfristigen Partner Gemdale nach Shenzhen, China, zurückkehren.» Ist die WTA also bereits eingeknickt?
Nein, versichert die Kommunikationschefin Amy Binder. «Wir halten an unserer Forderung fest, dass es eine formelle Untersuchung der Vorwürfe von Peng Shuai geben muss und wir sie privat treffen können», erklärt sie auf Anfrage von Keystone-SDA. «Bis jetzt haben wir immer noch nichts direkt von ihr gehört.» Die WTA arbeite aber weiter daran, mit China eine Lösung zu finden, und man hoffe, 2023 wieder Turniere in der Region durchzuführen. Aber: «Wir werden unsere Werte, die wir seit der Gründung der WTA hochhalten, nicht gefährden.»
Moral oder Geldsegen?
Die ATP Tour zeigte sich übrigens nicht solidarisch mit den Frauen und hätte in diesem Jahr ihre Turniere in China durchgeführt, wenn dies von der Corona-Situation her möglich gewesen wäre. Dabei ist die Männertour deutlich weniger stark von China abhängig und steht auch ohne diese Events auf sehr soliden Füssen. Bis Ende Jahr gibt es noch 17 Turniere – darunter die Swiss Indoors – mit einem Gesamt-Preisgeld von 36 Millionen Dollar.
Bei den Frauen wird die Frage des Umgangs mit China hingegen noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Solidarität mit dem mutmasslichen Opfer von sexueller Gewalt oder Dollarregen aus dem Reich der Mitte – spätestens mit dem Ende der Corona-Einschränkungen in China wird man sich entscheiden müssen.