Kommentar Was Federers Australian-Open-Forfait wirklich bedeutet

Von Jan Arnet

28.12.2020

Wird erst nach den Australian Open sein Comeback geben: Roger Federer.
Wird erst nach den Australian Open sein Comeback geben: Roger Federer.
Bild: Keystone

Roger Federer sagt für die Australian Open ab, weil er sich offenbar noch nicht zutraut, um den Titel mitspielen zu können. Womöglich wird sich das in ein paar Monaten als kluge Entscheidung herausstellen.

Craig Tiley, der Turnierdirektor der Australian Open, liess die Tennisfans vor einer Woche aufatmen. «Alle Spieler haben zugesagt, inklusive Roger», sagte Tiley und verkündete damit inoffiziell Federers Comeback im Februar. Nun kommt doch alles anders. Wie auf der Website des Maestros zu lesen ist, verzichtet der 39-Jährige auf den Start in Melbourne. 

«Roger hat sich entschieden, die Australian Open 2021 nicht zu spielen. Er hat in den letzten paar Monaten starke Fortschritte mit seinem Knie und seiner Fitness gemacht», wird Federers Manager Tony Godsick zitiert. Langfristig sei es «die beste Entscheidung für ihn, nach den Australian Open auf die Tour zurückzukehren».



Im ersten Moment ist dieser Rückzieher ein Schock für jeden Federer-Fan. Wird er überhaupt noch einmal um die grossen Titel mitspielen können? Oder muss man sich damit abfinden, dass der vielleicht grösste Tennisspieler aller Zeiten dem Karriereende nun sehr nahe ist?

Der Plan ist klar: Olympia und Wimbledon geniessen Priorität

Über die Zukunft lässt sich natürlich nur spekulieren. Doch das Forfait muss nicht unbedingt etwas Schlechtes bedeuten. Federer hatte vor zwei Wochen verlauten lassen, dass er noch nicht so weit sei, wie er sich gewünscht hatte, nachdem er sich zweimal am rechten Knie operieren lassen musste. «Ich habe gehofft, dass ich bereits im Oktober bei 100 Prozent bin, das war ich leider nicht – und bin es auch heute noch nicht. Es wird knapp mit den Australian Open.»

Er wolle sich die nötige Zeit nehmen und den nächsten Schritt erst dann machen, wenn er dazu bereit sei. Mit diesen Aussagen liess Federer bereits erahnen, dass er beim kleinsten Zweifel auf einen Start an den Aussie Open verzichten würde. Denn der Sommer hat für ihn klare Priorität, wie er zuletzt betonte: Wimbledon, die Olympischen Spiele in Tokio und die US Open in New York heissen die grossen Saisonziele. «Ob ich in zwei Monaten oder in sechs Monaten zurückkomme, macht für mich keinen Unterschied», sagte Federer Mitte Dezember an den «Sports Awards».



Langfristig kann es durchaus von Vorteil sein, dass Federer die Aussie Open sausen lässt. Statt sofort ein kräftezehrendes Grand-Slam-Turnier mit Matches über fünf Sätze zu bestreiten, kann er sich über kleinere Turniere wieder an den Turnieralltag herantasten. Die French Open, das zweite Grand Slam des Jahres, gehen erst Ende Mai über die Bühne.

Federer will nichts überstürzen

Ganz so schlimm wird es um sein Knie ohnehin nicht stehen. Sonst würde Godsick auch nicht sagen, dass er in dieser Woche bereits Gespräche für Turniere aufnehme, die Ende Februar beginnen und dann einen Zeitplan für den Rest des Jahres erstellen werde.

Wer Federers Karriere seit einiger Zeit verfolgt, der weiss: Der Maestro bestreitet ein Turnier nur, wenn er der Überzeugung ist, dass er es auch gewinnen kann. Dieses Gefühl scheint er für die Australian Open nicht zu haben. Federer scheint sich nicht zuzutrauen, von 0 auf 100 wieder durchzustarten. Schliesslich ist seit seinem letzten Spiel auf der ATP-Tour schon ein Jahr vergangen.

Die Matchpraxis fehlt. Die Suche nach dem Vertrauen – sowohl in das Knie als auch in die eigenen Fähigkeiten – ist kompliziert. Insbesondere, wenn die Konkurrenz grösstenteils bereits seit September wieder Turniere bestreitet und keine Anlaufzeit mehr braucht. Federer will eine überstürzte Rückkehr verhindern und sich Schritt für Schritt wieder in Topform bringen. Womöglich wird sich das im Sommer auszahlen.

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