US Open Wawrinka-Gegner Medvedev: Der Kerl, den keiner mag, ist im Hoch

Jan Arnet

3.9.2019

Daniil Medvedev zeigt dem New Yorker Publikum, was er von ihm hält. Kurz zuvor reisst er einem Balljungen das Tuch aus der Hand (rechts) und erntet dafür Buhrufe.
Daniil Medvedev zeigt dem New Yorker Publikum, was er von ihm hält. Kurz zuvor reisst er einem Balljungen das Tuch aus der Hand (rechts) und erntet dafür Buhrufe.
Bilder: Getty

Stan Wawrinka trifft im US-Open-Viertelfinal (19:30 Uhr) auf Daniil Medvedev. Der Russe gilt nicht zu Unrecht als Geheimfavorit auf den Titel, kriegt aber keine Unterstützung des Publikums. Doch genau das macht ihn so stark.

«Ich danke euch. Eure Energie hat mir den Sieg gebracht. Wenn ihr nicht hier gewesen wärt, hätte ich wahrscheinlich verloren, da ich so müde war und gestern noch Krämpfe hatte. Wenn ihr heute Nacht schlafen geht, sollt ihr wissen, dass ich nur wegen euch gewonnen habe.» Mit diesen Worten verabschiedet sich Daniil Medvedev nach seinem Sieg in der dritten Runde gegen Feliciano Lopez vom Publikum in New York. 

Nette Worte der Weltnummer 5 an die Zuschauer – könnte man meinen. Doch sie sind mehr Provokation als Dank. Denn Medvedev wird während der Partie immer wieder ausgebuht, weil er seinem Namen als «Bad Boy» mal wieder alle Ehre macht: Erst reisst er einem Balljungen das Tuch aus der Hand, dann zeigt er den Zuschauern den Mittelfinger. 

Ein Eklat nach dem anderen 

Es ist nur einer von vielen Skandalen, für die der 23-jährige Russe in seiner noch jungen Karriere schon sorgte. Im April 2016 etwa wird er bei einem Turnier in Savannah disqualifiziert, weil er dem Schiedsrichter vorwirft, er helfe seinem Kontrahenten, da beide schwarz wären. Legendär ist sein Münzwurf in Wimbledon 2017: Nach seiner Niederlage in der zweiten Runde wirft Medvedev dem Schiedsrichter Münzen vor den Stuhl, um so Bestechung zu suggerieren. Der Russe muss darauf eine Busse von 14'500 Dollar bezahlen.

Im März 2018 will Medvedev trotz seines Triumphs gegen Stefanos Tsitsipas nach dem Spiel auf seinen Kontrahenten losgehen, weil der Grieche ihn mit den Worten «Scheiss Russe» beleidigt haben soll. Der Schiedsrichter muss dazwischen gehen, um Handgreiflichkeiten zu verhindern. «Neben dem Platz bin ich eigentlich ein ruhiger Kerl und würde nie auf jemand sauer werden, egal was er tut. Aber auf dem Platz werde ich sehr schnell wütend», sagt die Weltnummer 5 danach.

Dass Medvedev anders ist als die meisten Tennis-Profis, unterstreicht auch seine Aussage, die er im Juni dieses Jahres gegenüber der britischen Zeitung «Metro» tätigt. Da sagt er, dass er in jungen Jahren alles andere als ein Fan von Roger Federer war: «Ich hasste Roger. Ich konnte einfach nicht zusehen, wie er wieder und wieder gewann. Ich habe von der ersten Runde an für die anderen Spieler gejubelt, weil ich diese Einstellung hatte.» Medvedev hält stets zu den Underdogs. «Auch als Barcelona im Fussball alles gewann, wollte ich unbedingt, dass sie verlieren.» 



Für Aufsehen erregt auch ein Interview mit «Tennis World», in dem Medvedev im Oktober 2018 sagt, dass er Angst davor hatte, zu heiraten. «Ich dachte, die Ehe macht mich zu einem schlechteren Spieler», meint er. Seine Daria erhält dann aber doch noch einen Heiratsantrag – und seit der Eheschliessung im September des letzten Jahres geht es mit der Karriere Medvedevs nur noch steil nach oben.

Geheimfavorit auf den Titel

Der 23-Jährige ist zurzeit nicht weniger als der Mann der Stunde im Männertennis: Final in Washington, Final in Montreal und schliesslich sein erster Masters-1000-Titel in Cincinnati, wo er der Reihe nach klingende Namen stoppt und im Halbfinal gar die Weltnummer 1 Novak Djokovic eliminiert. «Er ist in jedem Fall einer der besten Spieler auf der Welt», huldigt Djokovic den aufstrebenden Russen in Cincinnati. 



Seit Wimbledon hat keiner der Top-Spieler so viele Partien gespielt und gewonnen wie Medvedev. Auf seinem Weg in den Viertelfinal der US Open muss er zwar in drei von vier Spielen einen Satz abgeben, dennoch strotzt er nur so vor Selbstvertrauen. «Ich bin zufrieden, weil ich in meiner Karriere einen Schritt nach vorne gemacht habe», sagt er nach seinem Sieg im Achtelfinal gegen den Deutschen Dominik Koepfer. «Ich habe etwas erreicht, was ich vorher noch nicht geschafft habe, und etwas, wovon ich vor eineinhalb Wochen nur geträumt hätte. Aber am Ende kann ich nur glücklich sein, wenn ich die US Open gewinne.»

Das Publikum wird Medvedev in New York aber kaum mehr für sich gewinnen können. Denn nach dem Spiel gegen Koepfer kann er sich eine weitere Provokation nicht verkneifen: «Ich muss es noch einmal sagen. Ich dachte vor dem Spiel, dass ich gar nicht spielen werde, weil ich so starke Schmerzen in der Schulter hatte. Ich habe so viele Schmerztabletten genommen wie nur möglich. Dann verlor ich den ersten Satz und lag im zweiten 0:2 hinten. Und ihr wart gegen mich und habt mir so viel Energie gegeben, dass ich gewinnen konnte.»

An der Presekonferenz spricht Medvedev ausführlich über seine spezielle Beziehung zum Publikum an den US Open: «Es ist wahrscheinlich die elektrisierendste Atmosphäre, die ich in meinem ganzen Leben erlebt habe. Manchmal spielst du in der ersten Runde eines ATP-Turniers, bei dem dich 50 Leute auf einem kleinen Platz beobachten. Das ist ganz anders», sagt er. «Ich versuche einfach, diesen Strom zu übernehmen. Das hat mir in den letzten beiden Spielen sehr geholfen.»

Er sei zwar nicht glücklich darüber, dass er die Zuschauer gegen sich habe, sagt Medvedev, aber «ich bin selbst schuld und ich muss damit umgehen. Das mache ich auf meine eigene Art und Weise». Das Wichtigste sei für ihn letztlich, die Partie zu gewinnen. «Wenn es mir hilft, wenn ich die Buhrufe der Zuschauer empfange und daraus Energie entwickeln kann, dann muss ich das tun.» Der exzentrische Russe gibt zu, dass dies nicht ganz einfach sei: «Es könnte leicht dazu führen, dass du noch wütender wirst, und dann verlierst du das Match, weil dir die Konzentration fehlt.»

Daniil Medvedev provoziert das Publikum in New York.
Daniil Medvedev provoziert das Publikum in New York.
Bild: Getty

Medvedev sagt, dass er viel besser spiele, wenn er die Zuschauer gegen sich hat. «Sie verstehen irgendwie nicht, dass sie es nicht tun sollten», schmunzelt er. Auch gegen Stan Wawrinka wird ihn das Publikum im Arthur Ashe Stadium kaum mit tosendem Applaus empfangen. Aus Schweizer Sicht ist natürlich zu hoffen, dass ihn die Abneigung von den Rängen nicht wieder zu Höchleistungen pusht. Denn ein Medvedev in Topform ist auch für Djokovic-Bezwinger Wawrinka brandgefährlich. Das einzige bisherige Duell konnte der Russe vor zwei Jahren in Wimbledon in vier Sätzen für sich entscheiden.

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