Michael Schär ist an der Tour de France wie 2022 nur als TV-Zuschauer dabei. Dennoch weiss der Luzerner nach elf Teilnahmen bestens, was ein Fahrer am Ruhetag unternehmen soll – oder eben nicht.
«So wenig wie möglich machen», entfährt es Michael Schär auf die Frage, was an einem Ruhetag am wichtigsten ist. Doch der 36-Jährige, der heuer seine letzte Saison als Radprofi bestreitet, liefert gleich eine differenziertere Antwort nach: «Ein Ruhetag sieht für jeden Fahrer etwas anders aus. Es gibt solche, die liegen den ganzen Tag im Bett, so wie zum Beispiel mein Teamkollege Benoît Cosnefroy. Andere hingegen müssen auch am Ruhetag Efforts leisten, damit sie nicht den ganzen Rhythmus verlieren.»
Kurz aus der Velo-Blase ausbrechen
Schär gehörte von 2011 bis 2021 zum Inventar der Frankreich-Rundfahrt. Für ihn war an rennfreien Tagen in einer Grand Tour zentral, den Kopf zu lüften. Es gelte, «mental frisch zu bleiben». Dies erreiche man, indem man kurz «aus der Velo-Blase ausbricht. Manchem hilft da schon ein Spaziergang».
Andere – wie Stefan Küng am Montag – haben die Gelegenheit, ein paar Stunden mit ihrer Familie zu verbringen. Was Schär hingegen gar nicht empfiehlt: Die mehr als drei Wochen voll im Tour-Film zu verbringen. «Das hängt dir irgendeinmal zum Hals heraus.»
Der Routinier steht praktisch täglich in Kontakt mit den zwei Schweizern im Feld. Stefan Küng und Silvan Dillier gehören seit den gemeinsamen Zeiten beim Team BMC zu seinen besten Freunden im Feld. Schär hat als Insider auch vor dem TV ein Auge für die Details und findet, dass gerade «Silvan fantastische Arbeit verrichtet. Ganz stark, wie er jeweils ins Finale reinfährt und dem Team helfen kann». Dilliers starke Vorarbeit wurde von seinem Teamkollegen Jasper Philipsen in bereits drei Etappensiege umgemünzt.
Auch Küng sei für sein Team «Gold wert. Bei ihm finde ich es aber manchmal fast zu schade, welche Helferdienste er leisten muss. Dafür ist er eigentlich zu gut. Aber so ist halt die Team-Taktik».
«Nein, es ist wahrer Sport»
Zu gut für die Konkurrenz sind der zweifache Tour-Gewinner Tadej Pogacar und Vorjahressieger Jonas Vingegaard. Die zwei Stars fahren in einer eigenen Liga. «Das Duell ist schlicht fantastisch», sagt Schär. Er findet es «beinahe unglaublich», was in der ersten Woche der Frankreich-Rundfahrt zwischen dem Slowenen und dem Dänen sportlich abgegangen ist. «Letzthin hat mich ein Kollege gefragt, ob das gestellt und abgesprochen sei. Aber nein, es ist wahrer Sport.»
Eine Prognose, wer am Ende als Gesamtsieger dastehen wird, wagt der Zentralschweizer nicht. Da aber er weiss, dass der Slowene nach seiner Ende April erlittenen Verletzung weniger Renn- und Trainingskilometer auf der Strasse in den Beinen hat, sieht er «eher Pogacar auf dem aufsteigenden Ast. Vingegaard wird nach den letzten Tagen wohl nicht mehr so ruhig schlafen».
Leiden nach Nicht-Selektion
2022 litt Schär nach seiner Nicht-Berücksichtigung für die Grande Boucle durch die Team-Bosse von AG2R stark. «Ich war elfmal hintereinander dabei und hatte mich bis dahin in der Beurteilung meiner Saison immer stark über die Tour de France definiert.» Heuer gehe es ihm definitiv besser. Ein Teil von ihm würde zwar durchaus gerne ein letztes Mal nach Paris einfahren, «aber nach dieser so emotionalen und schwierig zu verarbeitenden Tour de Suisse ist es für mich wohl besser, dass ich zuhause bei den Kindern und meiner Frau bleiben konnte».
Der Luzerner spricht davon, dass der tödliche Unfall in der Abfahrt vom Albula-Pass von Gino Mäder immer noch präsent sei. «Es war ein extrem einschneidendes, trauriges Erlebnis. Eines, wie ich es noch nie erlebt hatte.» Wie vielen anderen Fahrern hätten ihm die Gedenkfahrt von Wetzikon zur offenen Rennbahn in Oerlikon und die dort stattfindende Abschiedszeremonie bei der Verarbeitung des tragischen Ereignisses geholfen.
Nun befindet sich Schär wieder im «Trainings-Trott. Im Rennen werden die Instinkte dann auch wieder funktionieren». Sein nächster Renneinsatz steht ab dem 29. Juli mit der siebentägigen Polen-Rundfahrt an. Danach hofft Schär, der am Samstag ein Gespräch mit Nationaltrainer Michael Albasini führte, auf ein Aufgebot für die WM Anfang August. «Es ist definitiv ein Ziel, in Glasgow dabei zu sein und den topmotivierten Marc Hirschi auf einer ihm zusagenden Strecke zu unterstützen.»
voe, sda