Der Zehnkämpfer Simon Ehammer mutiert für zwei Monate zum Weitspringer. Erst Mitte August bei den Europameisterschaften in München bestreitet der Appenzeller den nächsten Dekathlon. Derweil hoffen die Österreicher auf einen Nationenwechsel des Schweizers.
8,45 Meter und 8377 Punkte lauten die Zahlen zu den beiden Schweizer Rekorden, die der Allrounder am Wochenende im Mehrkampf-Mekka in Götzis nahe der Schweizer Grenze aufgestellt hat. Der 22-Jährige aus Gais machte 22 Autokilometer von seinem Wohnort entfernt primär am Samstag von sich reden. 8,45 Meter im Weitsprung sind Extra-Klasse: Nummer 1 der Jahres-Weltbestenliste. Der Schweizer Rekord im Zehnkampf hingegen taugt «nur» zu Platz 8. Selbst Damian Warner, der Olympia-Triumphator und Sieger von Götzis, belegt im Jahres-Ranking mit 8797 Punkten bloss den 2. Rang.
Bereits mit der Siebenkampf-Silbermedaille von den Hallen-Weltmeisterschaften im März in Belgrad um den Hals hatte Ehammer angekündigt, an den Freiluft-Weltmeisterschaften im Juli in Eugene im US-Bundesstaat Oregon auf den Weitsprung zu setzen. Männiglich dachte, dass da einer eine Medaillenchance in den Sand setzt. Nun stehen die Vorzeichen gemäss den Bestenlisten andersherum: Ehammer hat als Weitspringer bessere Chancen auf eine WM-Medaille wie als Zehnkämpfer.
8377 Punkte spiegeln nicht das Niveau wider
Die Aussage, dass Ehammer seine Medaillenchancen in Eugene als Weitspringer erhöht, stimmt nur bedingt. Einerseits vergab er in Götzis mit einem wirklich schwachen 1500-Meter-Lauf die Chance, die Marke von 8500 Punkten zu knacken. Bereits 4:47 Minuten hätten dazu gereicht – Ehammers Hausrekord liegt bei 4:42. Wegen einer eben überstandenen Erkältung im Ausdauer-Bereich noch angeschlagen und wegen eines womöglich zu forschen Beginns brach er völlig ein und erreichte 5:08,51. Wenn es bei einem Grossanlass um die Medaillen geht, läuft ein fitter Ehammer eine halbe Minute schneller und erhält 177 Punkte mehr. Mit 8554 Zählern stünde er auch in der Jahres-Weltbestenliste besser da.
Andererseits ist die Saison im Mehrkampf im Gegensatz zum Weitsprung schon voll im Gang. Mit Ratingen, Götzis und den US-Trials fanden allein im Mai drei Top-Events statt. Der Vergleich Weitsprung versus Zehnkampf hinkt auch wegen der Wettkampf-Dichte.
Gleichwohl bleibt Ehammers Medaillen-Potenzial im Weitsprung an den Weltmeisterschaften unbestritten. Denn der Flug auf 8,45 Metern war keine Eintagsfliege. Bereits in Ratingen bedeuteten 8,30 Meter Schweizer Rekord. Ob sich Ehammer unter den Podestanwärtern für die WM in Eugene halten kann, wird sich an den kommenden Diamond-League Meetings in Rabat und Oslo weisen. Dort tritt der Schweizer gegen die Spezialisten an.
Spezifisches Training
Simon Ehammer wird Zehnkämpfer bleiben. Mit seinen Fähigkeiten könnte er nebst dem Weitsprung auch ein Spezialistentum über 110 Meter Hürden oder im Stabhochsprung anstreben. Dies ist aber nicht vorgesehen. Der Verzicht auf den Zehnkampf an der WM basiert primär auf einem Fakt: Zwei Zehnkämpfe innerhalb von 3 Wochen samt Jetlag bilden eine zu hohe Belastung, zumal der Tank gegen Ende Saison nicht mehr voll ist.
Um für Eugene optimal vorbereitet zu sein, wird das Training leicht angepasst. Kadenzläufe und dergleichen verfeinern die Souplesse für den Weitsprung. Hinzu kommen auch Einheiten im Bereich Schnelligkeit, die ein Zehnkämpfer eh gebrauchen kann.
In der Saison 2021 war Simon Ehammer noch das Sorgenkind: verpasste OIympia-Qualifikation (weil die Resultate von 2020 für eine Selektion nicht zählten, da die Qualifikationsperiode coronabedingt ausgesetzt wurde), drei Nuller in Mehrkämpfen (zweimal Siebenkampf, einmal Zehnkampf), und eine hartnäckige Entzündung in der Leistengegend.
2022 sieht alles anders aus: WM-Silber in der Halle mit Schweizer Rekord, zwei Zehnkämpfe mit jeweils Schweizer Rekorden im Weitsprung und im Dekathlon. Sofern Ehammer dieses Niveau das Jahr über hält, kommen zwei weitere Medaillen hinzu: in Eugene im Weitsprung und in München im Zehnkampf.
Ehammer gibt den Österreichern einen Korb
Die hervorragenden Leistungen des 22-Jährigen lassen auch die Österreicher träumen. Die «Krone»-Zeitung machte ihren Lesern am Montag Hoffnung, dass sich der Schweizer, dessen Vater Franz aus dem Tiroler Brixental stammt, für einen Nationenwechsel entscheiden könnte. Weil auch seine Freundin aus der Steiermark kommt und Ehammer ein Tattoo des Tiroler Adlers unter seinem linken Brustkorb hat.
Einst sagte Ehammer zudem, dass er sich auch um die österreichische Staatsbürgerschaft bemühen wolle. «Vielleicht besteht also doch noch Hoffnung, dass Ehammer eines Tages unter rot-weiss-roter Fahne jubelt», schrieb die «Krone».
Die Absage folgt aber prompt. «Ich bin Schweizer, ich bin hier aufgewachsen. Ich habe mein Leben hier aufgebaut, meine Lehre hier gemacht und wohne mit meiner Freundin im Appenzellerland. Ich werde ganz sicher nicht für ein anders Land starten als für die Schweiz», wird Ehammer im «Blick» zitiert. Aber er sagt auch: «Die Österreicher dürfen gerne mit mir mitfiebern. Für mich ist Österreich die zweite Heimat, früher habe ich jedes Jahr sechs bis acht der zwölf Schulferienwochen in Tirol verbracht. Ich habe das Land gern.»
SDA/jar