Nach seinem Sieg bei der Flèche Wallonne zählt Marc Hirschi auch bei Lüttich-Bastogne-Lüttich zu den Favoriten. Reicht dem Berner im nächsten Ardennen-Klassiker die Kraft für einen weiteren Exploit?
Marc Hirschi fährt seine Erfolge mit einer Kadenz ein, an die man sich als Schweizer Radsport-Fan erst (wieder) gewöhnen muss. Seit gut einem Monat verzückt der Jungspund die Szene mit seinen phänomenalen Leistungen. Nach seinem Etappensieg bei der Tour de France und WM-Bronze in Imola konnte sich der Sunweb-Profi am Mittwoch bei der Flèche Wallonne auch zum ersten Mal in die Siegerliste eines Eintagesrennen der World Tour eintragen.
Aus dem Schweizer Zukunftsversprechen ist in den letzten Wochen ein echter Erfolgsgarant geworden. Die Cleverness und Coolness, die Hirschi dabei mit seinen erst 22 Jahren an den Tag legt, verblüfft immer wieder aufs Neue. Für die französische Sportzeitung «L’Équipe» ist er jetzt schon «DIE Entdeckung» dieser kurzen aber umso intensiveren Radsaison.
19 Jahre nach Oscar Camenzind?
Am Sonntag hat Hirschi die Chance, ein sogenanntes Radsport-Monument zu gewinnen. Etwas, das seit der Jahrtausendwende nur drei Schweizern gelungen ist: Oscar Camenzind, Oliver Zaugg und natürlich Fabian Cancellara. Der Ende 2016 zurückgetretene Berner gewann je dreimal die Flandern-Rundfahrt und Paris – Roubaix sowie 2008 Mailand – Sanremo. Zaugg kam 2011 quasi aus dem Nichts zum Sieg an der Lombardei-Rundfahrt. Und Camenzind war 1998 nicht nur der letzte Schweizer Strassen-Weltmeister, sondern drei Jahre später auch der letzte Gewinner bei Lüttich-Bastogne-Lüttich.
Nun, 19 Jahre später, gehört mit Marc Hirschi wieder ein Schweizer Fahrer zu den Favoriten bei der «Doyenne», wie die älteste Classique im Fachjargon genannt wird. Die 257 km durch die belgischen Ardennen nimmt der Puncher bereits zum zweiten Mal unter die Räder. Die Erinnerungen an seine Premiere im letzten Jahr sind allerdings nicht die besten. Bei Regen, Kälte und Wind erreichte er als 51. das Ziel fast sieben Minuten nach dem Sieger Jakob Fuglsang. Der Däne verzichtet nach seinem Sieg in der Lombardei-Rundfahrt im August jedoch auf die belgischen Klassiker und richtet seinen Fokus stattdessen auf den Giro d'Italia.
Auch am Sonntag sieht es wieder nach «Huddelwetter» aus, was Hirschi nicht entgegen kommen dürfte. «Bei Regen und Kälte bin ich eher im Nachteil gegenüber den robusteren Fahrern», mutmasst der Schweizer, der bei einer Körpergrösse von 1,74 Meter 61 Kilogramm auf die Waage bringt. Im letzten Jahr habe er Mühe gehabt nach 200 km bei dieser Kälte. «Klar zähle ich jetzt zu den Favoriten auf den Sieg. Aber es ist ein langes Rennen und ab dem Start richtig hart», blickte er nach seinem Sieg bei der Flèche Wallonne voraus. «Ich nehme es als Bonus und werde viel entspannter sein.» Entspannter ja, aber sicher nicht weniger gefährlich.
Alaphilippe ausgeruht?
Anders als Hirschi liess Vorjahressieger Julian Alaphilippe die Flèche Wallonne aus. Nach dem WM-Titel am letzten Sonntag gönnte sich der Franzose eine Pause, um sich körperlich und emotional vom Stress der letzten Wochen zu erholen und danach ausgeruht in Lüttich wieder an den Start zu gehen.
Bei seiner Premiere im Regenbogentrikot des Weltmeisters strebt Alaphilippe nach einem 2., 13., 4. und 16. Platz beim Ardennen-Klassiker in diesem Jahr den Sieg an. Es wäre der erste eines Franzosen seit 40 Jahren, als der fünfmalige Tour-de-France-Gewinner Bernard Hinault die Konkurrenz in Grund und Boden fuhr.
Mit Bob Jungels (2018), Alejandro Valverde (2017, 2015, 2008, 2006), Wout Poels (2016), Dan Martin (2013) und Philippe Gilbert stehen in Lüttich voraussichtlich auch fünf ehemalige Gewinner am Start. Mit Tadej Pogacar und Primoz Roglic sind auch der Gesamtsieger und -zweite der Tour de France gemeldet.