Allzu gern hätte Matthias Sempach in Zug mitgeschwungen, vielleicht gar als einer der Favoriten nebst Giger, Wicki, Stucki und Co. Der Emmentaler wird aber Zuschauer sein.
Matthias Sempach wird am Eidgenössischen Feste ein sehr aufmerksamer Zuschauer sein, denn von ihm als neuem Experten im Team von SRF werden kompetente Meinungen erwartet.
Aus dem Nichts kam die unerfreuliche Botschaft, die Schwingerkönig Sempach im Juli 2018 vor dem Berner Kantonalfest in der Arena von Utzenstorf verkündete: Er musste das Schwingen ganz bleiben lassen, weil es kaum noch Aussichten gab, den lädierten Rücken wieder fit genug für das Schwingen hinzubekommen und weil sogar die Gefahr eines chronischen Schadens bestanden hätte. Der damals 32-Jährige, der mit dem Königstitel 2013 und dem Triumph am Kilchberger Schwinget 2014 seine grössten von vielen Siegen errungen hatte, konnte die Tränen während der Rücktrittserklärung nicht zurückhalten. Die dunkle, ruhige Stimme stockte.
Auf Jahresbeginn 2019 ist Matthias Sempach vom emmentalischen Alchenstorf mit der Familie nach Entlebuch gezogen. Er übernahm dort den Bauernhof, von dem seine Lebenspartnerin Heidi Jenny kommt, den Bauernhof des Schwiegervaters in spe Franz Jenny. Das «Bure» war für Sempach schon immer der Traumberuf. Jetzt übt er ihn aus.
«Der Rücktritt war auch eine Erleichterung»
Also hat Sempach von etwas Schönem, dem Schwingen, zu etwas anderem Schönen gewechselt. Fragt man ihn ein Jahr nach den Tränen nach dem Befinden, bekommt man diese Antwort: «Ich habe die Enttäuschung sehr gut verkraftet, denn der Rücktritt war für mich auch wie eine Erleichterung. Ich merkte schon zwei, drei Wochen vorher, dass ich wegen des Rückens vermutlich nicht mehr richtig zurückkehren kann. Seither dachte ich ab und zu ein paar Sekunden lang, dass es schön wäre, wenn ich noch schwingen könnte. Aber dann wird mir sofort bewusst, dass es mit dem Rücken wirklich nicht mehr gegangen wäre und was ich alles tun müsste, um richtig zurückzukehren. Dann gewinnt bei mir sofort die Vernunft. Es ist gut und richtig so, wie es ist.»
Nicht mancher kann auf so grossartige Momente auf den Schwingplätzen zurückblicken wie Sempach. «Ich denke tatsächlich sehr gerne zurück an die ganze Zeit. Ich habe sehr viel sehr Schönes erlebt, und ich bin auch stolz auf das, was ich erreicht habe. Die jetzige Zeit nach dem aktiven Schwingsport geniesse ich aber ebenso.»
In der Saison 2017 gewann Sempach anfänglich zwei Feste. «Ich war dort sehr gut beieinander», erinnert er sich. Eine am Berner Kantonalfest zugezogene Knieverletzung stoppte ihn. Vor dem Saisonhöhepunkt, dem Unspunnenfest in Interlaken, konnte er gerade noch ein einziges Training absolvieren. Er schwang passabel gut, aber für einen Spitzenplatz reichte es verständlicherweise nicht. In der Saison 2018 ereilte ihn schon im Frühling die Rückenverletzung. Er hatte also nie mehr die Möglichkeit, sein Können zu zeigen. Was hätte er sich denn ohne das Pech noch zugetraut? «Ich bin sicher: Wenn der Körper noch mitgemacht hätte, hätte ich meine Leistungen immer noch bringen können.»
In Sempachs Augen ist das Alter eines Schwingers nicht allein ausschlaggebend für das Leistungsvermögen. «Sicher ist, dass es für einen Schwinger ab 30 Jahren nicht einfacher wird. Der ältere Schwinger muss mehr unternehmen, wenn er sich behaupten will. Der Stucki Chrigu zum Beispiel ist sicher mehr im konditionellen Bereich gefordert. Ich selber musste mehr im Kraftraum arbeiten. Aber wirklich entscheidend ist die Form, nicht das Alter. Ich war selber ein Spätzünder. Ich war erst am Eidgenössischen in Burgdorf, als ich 27 war, körperlich fertig entwickelt. Andere sind schon mit 20 brutal weit. Das ist sehr unterschiedlich. Adrian Käser wurde mit 18 Jahren Schwingerkönig. Ich war mit 18 körperlich noch nirgends. Ich war erst 90 Kilo schwer.»
Die beiden etwa gleichaltrigen Kumpel Matthias Sempach und Christian Stucki werden also nicht mehr gemeinsam in die Schlacht von Zug ziehen können. Stucki geht den Weg allein. Was traut ihm Sempach zu? «Der Chrigu ist körperlich sicher so gut zwäg, wie er es sein muss. Er macht auf mich einen sehr guten Eindruck, und ich traue ihm sehr viel zu. Wenn man vor Giger oder Reichmuth steht, ist man beeindruckt. Sie sind Superschwinger und sehr gross. Steht man aber vor dem Stucki, ist es noch einmal etwas anderes. Er ist noch 30 Kilo schwerer, und er ist technisch nicht der schlechtere Schwinger.»