Schiessen Ein Zwischenjahr mit Abstrichen für Olympiasiegerin Nina Christen

sda

12.10.2022 - 11:20

Die Olympiasiegerin Nina Christen schaltet in diesem Jahr ein paar Gänge zurück und reist diese Woche nicht in Bestform an die Weltmeisterschaften nach Kairo.

Einen Vorstoss in den Final der Top 8 traut sich die Nidwaldnerin dennoch zu.

Der wegen der Corona-Pandemie auf drei Jahre verkürzte Olympia-Zyklus bringt Nina Christen immer noch in die Zwickmühle. Einerseits betrachtet die Sportschützin das Jahr 2022 als Zwischenjahr, in der Praxis allerdings fehlt vor Paris 2024 eben das nacholympische Zwischenjahr.

Es ist nicht so wie zuletzt 2017, als viele der routinierten Schützinnen und Schützen nach Rio 2016 abtauchten, 2018 sich zunächst vereinzelt blicken liessen und erst 2019 und 2020 mit Blick auf die Spiele in Tokio wieder Vollgas gaben. Sie alle legten 2017 als verständlichen Schritt eine Pause ein. Denn der Schiesssport ist zu mehr als 50 Prozent Kopfsache, das Resultat wird mental beeinflusst.

Die 28-jährige Nina Christen weiss selber nicht recht, ob sie nun das Wort «Zwischenjahr» gebrauchen soll oder nicht. «Ja, 2022 ist eine Art Zwischenjahr. Ein Zwischenjahr, in dem es sportlich schon wieder um etwas geht.» In Kairo werden bereits Quotenplätze für Paris 2024 vergeben. «Dieses Ziel verdränge ich aber», betont die Schützin mit Blick auf die Wettkämpfe in Ägypten, wo sie mit dem Luft- und Kleinkalibergewehr antreten wird. «Ich darf ja nicht den Anspruch haben, eine Medaille und somit wohl auch einen Quotenplatz zu gewinnen, wenn ich das ganze Jahr ausserhalb der Top Ten schiesse. Eine Finalteilnahme in sportlich etwas schlechteren Zeiten wäre für mich ganz okay.»

Pause tat gut

Nach ihrem Coup mit Gold und Bronze in Tokio, dem anschliessenden Rummel und der Leere, die sich nach der Erfüllung des sportlichen Traums ausbreitete, benötigte die Schützin zunächst mal eine Pause, die sich bis in dieses Jahr hineinzog. Die Pause war teils geplant, teils wurde sie durch die olympischen Nachwirkungen erzwungen und verlängert. Jedenfalls tat sie gut: Nina Christen nahm unter anderem die Ausbildung zur Helikopter-Pilotin in Angriff, was ihr eine berufliche Option nach der Karriere als Sportlerin eröffnet. Dazu machte sie sich hinter die Vermarktung ihrer Medaillen oder zog sie vom Elternhaus in einen eigenen Haushalt um.

Der Kopf war wieder frei, und die Ambitionen als Spitzensportlerin drückten wieder voll durch, als Nina Christen im Frühling das Gewehr aus dem Koffer nahm. Der neue Trainer Torben Grimmel verlieh ihr zusätzlichen Schwung. Der Däne stand in Sydney 2000 selber auf dem Olympiapodest. «Er weiss, wie es ist, wenn man nach einer Pause wieder bei Null beginnt», betont die Zentralschweizerin und fügt an: «Torben ist ein ausgesprochen kollegialer Typ. Das ist derzeit sehr wichtig für mich.»

Neues mentales Konstrukt

Obwohl das Zwischenjahr eigentlich noch läuft, geniesst das Schiessen erste Priorität. Aber auch bei einer Olympiasiegerin steckt der Teufel in den vielen kleinen Details. Die verpassten Trainingsstunden lassen sich nicht negieren. Und: «Als Olympiasiegerin brauche ich im Kopf ein neues Konstrukt», betont Nina Christen. «Das Setting, das mir in den letzten zehn Jahren geholfen hat, um an die Spitze zu gelangen, taugt jetzt nichts mehr.» Einmal mehr war die Zusammenarbeit mit dem Sportpsychologen Jörg Wetzel gefragt.

Die Nidwaldnerin gibt zu, dass sie sich einen flüssigeren Wiedereinstieg erhofft hatte, dass sie gerne etwas schneller wieder auf Touren gekommen wäre. Andererseits bringt sie für ihre Situation Verständnis auf. «Rational gesehen ist es wegen des Trainingsrückstands nicht möglich, jetzt schon auf Top-Niveau zu schiessen. Andererseits bin ich Olympiasiegerin, also kann ich doch das.» Sie müsse auch aufpassen, dass Aktivitäten wie die Ausbildung zur Pilotin sie nicht vom Training ablenken würden. Andererseits helfe ihr das Lernen für den Pilotenschein, um sich auf den Schiesssport zu fokussieren. «Wenn ich für die Ausbildung lerne, bin ich zu hundert Prozent Pilotin. Wenn ich das Buch zur Seite lege, wieder zu hundert Prozent Schützin.»

Im sportlichen Alltag änderte sich im Vergleich zur Phase vor Tokio wenig. Auch für eine Olympiasiegerin funktioniert Schiessen immer noch gleich; harte Trainingsarbeit in den verschiedensten Bereichen ist gefragt. Aber eine Trumpfkarte kann Nina Christen nun ziehen. Bei diversen Gelegenheiten, beispielsweise an Sponsoring-Events, präsentiert sie ihre Medaillen und erzählt all die Geschichten rund um Tokio. «Das interessiert die Leute und gibt mir Schub.»

sda