Dominic Lobalu läuft sich frei. Der Mann mit dem tragischen Lebensweg krönt sich zum Europameister über 10'000 m. «Für die Schweiz», wie er betont.
Die Schweiz und auch die Schweizer Flagge behagen Dominic Lobalu. Wie schon nach dem Bronzelauf über 5000 m absolviert er den ganzen Medien-Parcours in die Fahne eingehüllt, die er nach dem Sieg im Endspurt über den Franzosen Yann Schrub und den Spanier Thierry Ndikumwenayo zugeworfen erhielt.
«Ich bin sehr zufrieden, ich danke der Schweiz», sagt er immer wieder. Wohl auch, weil er zwar schon ordentlich Deutsch spricht, aber noch nicht alle Fragen versteht. Der im Südsudan geborene Läufer setzt mehr zu einer Dankesrede an, als dass er ein Siegerinterview gibt. «Die Schweiz ist das richtige Land für mich. Viele Leute haben mir geholfen, ich danke dem Verband. Swiss Athletics hat für mich gekämpft. Und auch das Schweizer Publikum hier feuert mich an», betont er.
Auf den Rennverlauf geht Lobalu nicht gross ein. Er hätte sich, so macht es auf den TV-Bildern den Anschein, ein schnelleres Rennen gewünscht. Aber er habe die Nerven nicht verloren. «Die letzten fünf Runden waren schon sehr hart. Aber ich habe mich auf die letzten 400 m konzentriert. Dort konnte ich alles geben, so wie wir es auch trainiert haben.»
Die Freigabe für die Titelkämpfe in Rom hatte Lobalu erst Mitte Mai erhalten. Nun reist er mit zwei Medaillen im Gepäck in die Schweiz zurück. Die Plaketten will er nicht irgendwo verstauen, sondern sie gut sichtbar aufbewahren. «Die Medaillen werden mir Energie und Motivation geben – jeden Tag.» Er wolle weiterhin hart trainieren.
Tragische Geschichte
Lobalus Geschichte ist tragisch und in Sachen Startberechtigungen äusserst komplex. Der Afrikaner kam im Südsudan zur Welt. Im Alter von neun Jahren wurden seine Eltern bei einem Überfall erschossen. Er musste fliehen, wuchs als Flüchtling in Kenia auf, kam dort 2016 in das zwei Jahre zuvor gegründete «Athlete Refugee Team» und setzte sich 2019 bei einem Wettkampf in Genf von dieser Truppe ab. Einerseits weil nicht er, sondern die Leute hinter dem Flüchtlingsteam die Preisgelder kassierten, andererseits weil er sich eine eigene Existenz aufbauen wollte.
Als vorläufig Aufgenommener integrierte sich der Sportler gut. Er hat nun den B-Ausweis-Status in der Schweiz, und er verdient seinen Lebensunterhalt inzwischen voll und ganz selbst. Lobalu startet für den LC Brühl St. Gallen. Am 30. Juni 2022 gelang ihm mit dem Sieg am Diamond-League-Meeting in Stockholm über 3000 m der internationale Durchbruch.
Als Leichtathlet war er aber zwischen Stuhl und Bank gefallen. Den Schweizer Pass erhält er frühestens 2031, und beim Weltverband klappte es auch nicht mehr, weil er sich aus dem Prestigeprojekt, dem Flüchtlings-Team, abgesetzt hat. All dies scheint nun überstanden zu sein. Die Freude ist nach dem doppelten Medaillengewinn riesig.
Konkurrenz zu stark
Trotz guter Leistungen standen andere mit leeren Händen da – insbesondere die beiden Sprint-Staffeln und Annik Kälin. Die Bündnerin hatte im Siebenkampf (Platz 4/6490 Punkte) und nun im Final der Weitspringerinnen (6./6,82 m) sehr starke Leistungen gezeigt. Sie sieht sich aber nicht als Pechvogel. «Trotz Knieproblemen in der Vorbereitung erreiche ich bereits ein sehr hohes Niveau. Das motiviert, die Saison ist noch jung», sagt die WM-Dritte von München.
Die Gefühlslage der Frauenstaffel – letztlich disqualifiziert, weil der Schlussläuferin noch vor dem Ziel der Stab aus der Hand fiel – brachte Salomé Kora auf den Punkt: «Wir haben immer noch keine Medaille. Das ist einfach so.»
Nach dem 200-m-Coup durch Timothé Mumenthaler und William Reais liebäugelte das Männerquartett mit einer Medaille, einem Schweizer Rekord und einer Olympia-Qualifikation. Nichts davon traf ein. «Bei der Übergabe haben wir zu viel Zeit verschenkt», bilanziert Reais.
sda