American Football gewinnt auch in Europa an Popularität. Die Profiliga NFL würde nur zu gerne ein Team in London stationieren. Die logistischen Hürden sind aber wohl zu hoch.
Es ist ein PR-Desaster für Mexiko. Zum vierten Mal hätte diese Woche in der Hauptstadt Mexico City ein reguläres Meisterschaftsspiel der NFL stattfinden sollen. Und was für ein Spiel es gewesen wäre. Die beiden aktuell besten Teams, die Los Angeles Rams und die Kansas City Chiefs, hätten im legendären Aztekenstadion auflaufen sollen. Doch der Rasen war in derart schlechtem Zustand, dass die Liga das Spiel letzte Woche kurzfristig verlegte. Die Rams gewannen eines der spektakulärsten Duelle der Geschichte in der Nacht auf Dienstag 54:51 in Los Angeles statt in Mexiko. Nie zuvor hatten zwei Teams im gleichen Spiel über 50 Punkte erzielt.
Zurück blieben Zehntausende frustrierte Fans in Mexiko. Sie erhalten zwar das Geld für das Ticket zurück, nicht aber Hotel- und Flugspesen, die sie bereits gebucht haben. Doch die NFL-Verantwortlichen dürften den Entscheid nicht leichtfertig getroffen haben. Die Expansion in neue Märkte steht nämlich ganz weit oben auf ihrer Agenda. Mexiko ist ein mögliches Ziel, London ein anderes.
Im Gegensatz zu Eishockey oder Basketball hat Football das Problem, dass es ein ur-amerikanischer Sport ist ohne Tradition ausserhalb Nordamerikas. Doch die Popularität steigt und die Stadien sind voll, wenn sie ausserhalb der USA antreten. Seit 2007 gibt es die «International Series», aktuell finden pro Jahr vier Spiele in London und (theoretisch) eines in Mexico City statt. Die NFL Europe (von 1995 bis 2007) scheiterte noch kläglich, es spielten auch nur zweitklassige Profis, die es (noch) nicht in die NFL geschafft hatten. Spiele der richtigen NFL ziehen aber offensichtlich – und deshalb gibt es schon länger Pläne für ein Team ausserhalb der USA.
Genügend Fans und Geld in London
In vielerlei Hinsicht wäre London mit seiner internationalen Bevölkerung und vielen Touristen ein idealer Standort für ein solches Team. Es gibt auch genügend Stadien. Derzeit finden jeweils zwei Spiele im Wembley und zwei im Rugby-Stadion von Twickenham statt. Ab nächstem Jahr soll letzteres durch die neue Arena der Tottenham Hotspur ersetzt werden. «Ich glaube, die Fanbasis ist in London vorhanden», sagt der NFL-Commissioner. «Auch die Wirtschaft ist stark genug, um ein Team zu tragen. Und die politische Unterstützung ist gross.» Der baldige Austritt Grossbritanniens aus der EU könnte auch mögliche Probleme beim Arbeitsrecht abbauen. Schliesslich gibt es einige Verbindungen. So gehören der Glazer-Familie das NFL-Team Tampa Bay Buccaneers und der englische Fussball-Rekordmeister Manchester United. Stan Kroenke besitzt die Mehrheit an den Los Angeles Rams und Arsenal. Und Shahid Khan ist Besitzer der Jacksonville Jaguars und des FC Fulham.
Es gibt aber andere Hindernisse, die ein NFL-Team in London kurz- und mittelfristig unwahrscheinlich machen. Das grösste ist die geografische Distanz. Die Football-Saison ist aufgrund der enormen körperlichen Belastung kurz. Jedes Team hat acht Heimspiele, diese finden jeweils am Donnerstagabend (eines), Sonntag und Montagabend (meistens eines) statt. Im Moment wird darauf geachtet, dass die Mannschaften, die in London gespielt haben am folgenden Wochenende spielfrei haben. Bei jährlich acht Partien in England wird dies schwierig.
Goodell glaubt zwar, dass sich dies für die reguläre Saison lösen lässt. «Wir müssten schauen, dass der Kalender fair ist. Nicht nur für das Team in London, sondern auch für die, die dorthin reisen müssen.» Dazu muss man wissen, dass bei 16 Spielen pro Saison und 32 Teams nicht jeder gegen jeden spielt, sondern jedes Jahr ein neuer Spielplan erstellt wird, unter anderem aufgrund der Stärke der Mannschaften. «Das grösste Problem sehe ich in den Playoffs», gibt Goodell zu bedenken. «Wenn zum Beispiel Seattle für ein Playoffspiel nach London reisen müsste, das wäre schon hart.» Von Seattle an der US-Westküste nach London sind es über 10'000 Kilometer und fast 13 Stunden Flugzeit. Und in den Playoffs gibt es für den Sieger kein spielfreies Wochenende.
Rückbesinnung auf Amerika?
Mexico City wäre logistisch gesehen deshalb die naheliegendere Stadt für eine Expansion. Die Grösse wäre gegeben, aber andere Herausforderungen – die zum Teil auch in London gelten – bestehen auch hier. Unterschiedliche Arbeitsrechte, Fluktuationen bei der Währung oder politische Spannungen könnten zu Problemen werden. Zudem ist seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten das Verhältnis zwischen den USA und Mexiko wegen der Einwandererfrage merklich abgekühlt.
Es stellt sich aber auch die Frage, ob eine Expansion in Trumps Amerika überhaupt noch gefragt ist. In einer Zeit, in der die Devise «America first» gilt, könnte eine solche Internationalisierung bei vielen Fans, die bereits wegen der Proteste einiger Spieler bei der Nationalhymne verärgert sind, nicht gut ankommen. Die Prognose sei deshalb gewagt: In den nächsten Jahren wird es zwar weiterhin einzelne NFL-Spiele im Ausland geben, ein ganzes NFL-Team aber nicht.