Am Samstag beginnt auf Sizilien die 103. Ausgabe des Giro d'Italia. Folgende Fahrer könnten in der zweitwichtigsten Rundfahrt im Radsport-Kalender nach der Tour de France für Aufsehen sorgen.
Obwohl er die Tour de France im vergangenen Jahr als Gesamtzweiter und ein Jahr zuvor sogar als Sieger beendet hatte, wurde Geraint Thomas von seinem Team Ineos überraschend nicht für die diesjährige Frankreich-Rundfahrt aufgeboten. Nun brennt der 34 Jahre alte Brite auf den Gesamtsieg am Giro. Nach sehr mässigen Resultaten zu Beginn des Saison-Neustarts im August hat Thomas zuletzt mit Platz 2 am Tirreno-Adriatico und dem 4. Rang im WM-Zeitfahren in Imola aufsteigende Form bewiesen. Mit seinen Qualitäten im Zeitfahren und am Berg wird er ein ganz heisser Kandidat auf den Giro-Sieg sein.
2018 dominierte Simon Yates den Giro d'Italia lange Zeit nach Belieben. Während zwölf Etappen trug er die Maglia rosa und liess sich dreimal als Tagessieger feiern, ehe er am drittletzten Tag komplett einbrach und aus den Top 10 fiel. Wenige Monate später gewann Yates als erst zweiter Brite nach Chris Froome im Jahr zuvor die Spanien-Rundfahrt. Nach einer ansprechenden Saison 2019 mit zwei Etappensiegen an der Tour de France soll es für den 28-Jährigen vom australischen Team Mitchelton-Scott nun endlich mit dem Gesamtsieg am Giro klappen. Sein grosses Problem dürften die vielen Zeitfahren sein. Die Prüfungen im Kampf gegen die Uhr gehörten zuletzt nicht zu seinen Stärken. Am Tirreno-Adriatico reichte es ihm vor gut zwei Wochen trotzdem zum Gesamtsieg.
Seit 2013 fährt Jakob Fuglsang für Astana und vertrat seither regelmässig die Farben des kasachischen Teams an den dreiwöchigen Rundfahrten. Auf das Podest hat es der Däne in einer Grand Tour allerdings noch nie geschafft. Der 7. Platz an der Tour de France 2013 war sein bislang bestes Ergebnis. Bei seiner einzigen Teilnahme am Giro d'Italia erreichte Fuglsang vor vier Jahren den 12. Gesamtrang. Nun strebt der Sieger der diesjährigen Lombardei-Rundfahrt nach Höherem. Mit dem Kolumbianer Miguel Angel Lopez weiss Fuglsang einen Edelhelfer an seiner Seite. Der Gewinner der Tour de Suisse 2016 erreichte Paris in diesem Jahr als Tour-Sechster.
Er ist die grosse Hoffnung der Italiener, wie eigentlich immer, wenn Vincenzo Nibali beim Giro am Start steht. Bei all seinen sechs Teilnahmen seit 2010 fuhr der bald 36-jährige Sizilianer aufs Podest, 2013 und 2016 sogar als Sieger. Im letzten Jahr wurde Nibali nur vom ecuadorianischen Überraschungsmann Richard Carapaz geschlagen. Zuletzt beklagte sich der «Hai von Messina», der schon alle drei grossen Landesrundfahrten gewonnen hat, bei der Heim-WM in Imola allerdings über fehlende Form. Sein grosser Trumpf ist und bleibt seine Erfahrung.
Peter Sagan ist kein Mann für den Gesamtsieg, aber einer für die vielen Sprint-Ankünfte. Der Slowake hat in seiner Karriere schon unzählige Siege eingefahren. 113 an der Zahl sind es mittlerweile in zwölf Jahren als Profi. Alleine zwölf Mal entschied er ein Teilstück der Tour de France für sich. Einen Etappensieg am Giro d'Italia sucht man allerdings vergebens im Palmares des dreifachen Strassen-Weltmeisters – mit gutem Grund, denn Sagan wird am Samstag nach vier Vuelta- und acht Tour-Teilnahmen zum ersten Mal die Italien-Rundfahrt in Angriff nehmen. Dafür verzichtet er sogar auf die grossen Klassiker in Belgien. Ausgerechnet jetzt macht ihm aber eine lange Durststrecke zu schaffen. Sein letzter Sieg liegt schon über ein Jahr zurück. Am 10. Juli 2019 gewann Sagan in Colmar die 5. Etappe der Tour de France. Seine härtesten Widersacher am diesjährigen Giro aus dem Lager der Sprinter sind der Franzose Arnaud Démare, der Kolumbianer Fernando Gaviria und der Italiener Elia Viviani.
Die 103. Ausgabe der Italien-Rundfahrt war eines der ersten Radrennen, die im Frühjahr wegen der Corona-Pandemie verschoben wurden. Weitere Fakten zum Giro-Start:
Statt wie geplant am 9. Mai in Budapest beginnt die diesjährige Italien-Rundfahrt mit rund fünf Monaten Verspätung auf Sizilien. Den Anfang macht ein gut 15 km langes Einzelzeitfahren von Monreale nach Palermo. Es folgen drei weitere Tage auf der Mittelmeerinsel. In der 3. Etappe steht am Ätna, dem höchsten Vulkan Europas, bereits die erste Bergankunft an. Davon folgen auf dem Weg nach Mailand fünf weitere, drei in der happigen letzten Woche – nach Madonna di Campiglio, Laghi di Cancano und Sestriere.
Den sechs Bergankünften stehen genauso viele Sprint-Etappen und Teilstücke über mittelschweres Terrain gegenüber. Nach dem Auftaktzeitfahren auf Sizilien folgt in der 14. sowie in der 21. und letzten Etappe erneut eine Prüfung gegen die Uhr. Bei knappen Abständen könnte die Entscheidung um den Gesamtsieg also erst am Schlusstag in Mailand fallen. Zwischen dem Start auf Sizilien und dem Ziel in der Modemetropole liegen fast 3500 km.
Mehr als die Restriktionen der Corona-Pandemie könnte den 176 Fahrern während den drei Herbstwochen das Wetter zu schaffen machen. Im Hochgebirge hat der Schnee am Giro schon oft für Chaos gesorgt – und das im Mai. Im Oktober ist es tendenziell kühler und nasser als im Frühling. Bei zu viel Schnee droht den Alpenpässen gar die frühzeitige Wintersperre. Das Dach der Rundfahrt befindet sich auf der 18. Etappe auf dem Stilfserjoch auf 2758 Meter über Meer.
Drei Tage vor dem Start der Italien-Rundfahrt waren mit Simon Pellaud, Kilian Frankiny und Danilo Wyss lediglich drei Schweizer Teilnehmer gemeldet. Das entspricht etwa dem Durchschnitt der letzten Jahre. Während Giro-Debütant Pellaud seine Zukunft im italienischen Pro Continental Team Androni Giocattoli bereits geregelt hat, sind Frankiny und Wyss zwei von sieben Schweizer World-Tour-Fahrern, die noch keinen Vertrag für die nächste Saison besitzen. Sie können die drei Wochen also nutzen, um Werbung in eigener Sache zu machen. Dies dürfte im Fall des 35-jährigen Wyss gleich doppelt wichtig sein, da sich NTT per Ende Jahr als Sponsor seiner gleichnamigen südafrikanischen Mannschaft zurückzieht. Für Pellaud, Frankiny und Wyss sind in ihren Teams eher kleinere Rollen vorgesehen. Ein Schweizer Etappensieg, wie zuletzt 2017 durch Silvan Dillier, käme jedenfalls einer grossen Überraschung gleich.