Nationalcoach zum Fall Flückiger «Zu sehen, wie es jemandem die Seele zerreisst vor Schmerz, tut weh»

jos, sda

26.8.2022 - 06:01

Mountainbike-Nationaltrainer Bruno Diethelm spricht über den Fall Flückiger.
Mountainbike-Nationaltrainer Bruno Diethelm spricht über den Fall Flückiger.
Keystone

Der Dopingfall Mathias Flückiger hallt an der Mountainbike-WM in Les Gets nach. Bruno Diethelm, der Nationaltrainer der Männer, wehrt sich gegen eine Vorverurteilung seines Schützlings.

26.8.2022 - 06:01

Die Mountainbiker kämpfen in diesen Tagen in den Bergen südlich des Genfersees um die WM-Titel. Nino Schurter kann am Sonntag seinen zehnten WM-Titel im olympischen Cross-Country erringen, und auch Filippo Colombo gehört bei den Männern zum Kreis der Medaillenanwärter. Doch das Klima im Schweizer Team ist gestört.

Im Interview spricht Männer-Nationaltrainer Bruno Diethelm über den Dopingfall Mathias Flückiger und den britischen Ausnahmekönner Thomas Pidcock.

Bruno Diethelm, über der WM liegt durch den Dopingfall Flückiger ein Schatten. Welche Position nehmen Sie in der Angelegenheit ein?

Niemand hat gerne einen Nestbeschmutzer im Team, aber in meinen Augen ist Mathias keiner. Ich mag es nicht, wenn man Leute vorverurteilt. Im Moment steht die Anschuldigung im Raum, dass er etwas Unerlaubtes genommen hat. Ein Dopingfall ist es erst, wenn etwas bewiesen ist. Ich stelle Mathias keinen Persilschein aus, aber so wie ich und viele andere ihn kennen, kann ich mir schlicht nicht vorstellen, dass er vorsätzlich gedopt hat. Solange kein Urteil existiert, gilt Mathias als unschuldig. Diese Herangehensweise nimmt auch etwas Druck von ihm.

Für den betroffenen Athleten ist die Situation schlimm. Flückiger selbst hat sich noch nicht öffentlich geäussert. Wie geht es ihm?

Wer wird schon gerne beschuldigt, wenn er sich keiner Schuld bewusst ist? Mathias leidet. Ich hoffe, er kann das verarbeiten – auch dank der psychologischen Unterstützung, die er erhält. Zu sehen, wie es jemandem die Seele zerreisst vor Schmerz, tut weh. Natürlich stellt sich Mathias im Moment allerhand Fragen, wie es zu dieser positiven Probe kommen konnte. Dass er im Moment aber schweigt, passt zu seinem Wesen. Mathias redet, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen. Egal, was er im Moment sagen würde, es wäre eh nicht richtig. Die jetzige Aufgabe von Mathias und seinem Umfeld ist, sauber zu analysieren, wie es dazu kam.

Mathias Flückiger stellt sich Fragen, wie es zur positiven Probe kommen konnte.
Mathias Flückiger stellt sich Fragen, wie es zur positiven Probe kommen konnte.
Keystone

Die Angelegenheit geht auch an Flückigers Mannschaftskollegen im Nationalteam nicht spurlos vorbei. Wie sollen sie damit umgehen?

Es bleibt ihnen nichts anderes, als das Ganze bestmöglich auszublenden. Natürlich beschäftigt es sie, aber es bringt nichts, das Thema laufend anzusprechen. Sicherlich zeigt ihnen der Fall auf, wie heikel das Umfeld ist, in dem sie sich im Leistungssport mit den Dopingtests bewegen. Die Thematik ist auch mit ein Grund, weshalb wir hier in Les Gets selber kochen und das schon an anderen Orten getan haben. An Grossanlässen haben wir ausserdem jeweils einen eigenen Arzt dabei. So ist die Herkunft der bei Krankheiten und Unfällen eingesetzten Medikamente gesichert.

In Abwesenheit des letztjährigen Gesamtweltcupsiegers Flückiger kann Nino Schurter in Les Gets seinen zehnten WM-Titel erringen. Der grosse Favorit ist aber der Brite Tom Pidcock.

Die Strecke mit zwei langen Aufstiegen und technisch anspruchsvollen Abfahrten passt zu meinen Fahrern. Hier können wir Pidcock mehr Paroli bieten als auf der vergleichsweise einfachen EM-Strecke in München. Mit seiner hohen Startnummer braucht Pidcock hier wahrscheinlich länger, bis er vorne ist. Durch diesen Druck wird er vielleicht eher zu Fehlern gezwungen – wie letztes Jahr hier im Short Race.

Der Brite Tod Pidcock geht als Favorit ins Rennen.
Der Brite Tod Pidcock geht als Favorit ins Rennen.
KEYSTONE/EPA/YOAN VALAT

Die Devise muss am Sonntag also sein, für Unruhe zu sorgen?

Ja. Wir haben das Glück, dass Pidcock weiter hinten startet und vor ihm viele Schweizer liegen. Die muss er zuerst alle überholen. Es soll ihn natürlich keiner behindern, aber es gibt viele Passagen, in denen du gar nicht vorbeikommst. Unter Stress ist die Gefahr von Defekten und Ausrutschern noch einmal grösser, als sie in Les Gets ohnehin schon ist. Wenn Pidcock einmal vorne weg ist, wird es schwierig. Dann kann er seine Power in den Aufstiegen voll ausspielen und die technischen Passagen sauber bewältigen.

Was macht den 23-jährigen Engländer so stark? Was sind seine grössten Qualitäten?

Was Ausnahmefahrer wie Tom Pidcock und Nino Schurter vor allem auszeichnet, ist die Bereitschaft, das Talent maximal auszuschöpfen. Da steckt reine Knochenarbeit dahinter. Pidcock bringt von der Strasse eine besondere Härte mit. Er ist überdies sehr vielseitig veranlagt. Er ist ein sauberer Techniker und verfügt über eine ausserordentliche Power. Sein Speed und auch seine intelligente Fahrweise helfen ihm auch.

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19.08.2022

jos, sda