WM-Bilanz Gammenthaler: «Hirschi hat das Pech langsam aufgebraucht»

Von Luca Betschart

28.9.2021

Schaffte es im WM-Strassenrennen nicht ins Ziel: Marc Hirschi.
Schaffte es im WM-Strassenrennen nicht ins Ziel: Marc Hirschi.
Bild: Keystone

An der Strassenrad-WM bleiben die Schweizer Männer trotz Ambitionen ohne Medaille, vor allem das Abschneiden im abschliessenden Strassenrennen ist enttäuschend. Experte Henri Gammenthaler zieht Bilanz.

L. Betschart

28.9.2021

Mit hohen Zielen ins Abenteuer gestartet, muss die Schweizer Männer-Delegation ohne Medaille wieder von der Rad-Weltmeisterschaft in Belgien abreisen. Im Zeitfahren klassieren sich mit Stefan Küng und Stefan Bissegger zwar gleich zwei Schweizer unter den besten Sieben und sorgen für das erhoffte Spitzenresultat, den Sprung aufs Podest bleibt dem Duo aber verwehrt. Das Abschneiden beim abschliessenden Strassenrennen am Sonntag muss dagegen als Pleite bezeichnet werden, als Bester fährt Küng bloss auf den 41. Rang.

«Das ist eine Enttäuschung», sagt Henri Gammenthaler im Gespräch mit blue Sport. Aber nicht, dass die Schweiz im Vergleich zur starken Konkurrenz aus Frankreich oder Belgien ohne Medaille ausgeht, stösst dem Rad-Experten sauer auf – sondern die Art und Weise des Team-Auftritts im abschliessenden Strassenrennen. Genauer gesagt: die frühe Aufgabe von Mitfavorit Marc Hirschi.

«Das darf an einer WM nicht passieren»

Gemäss Berichten kollidiert der Berner im Positionskampf mit zwei weiteren Fahrern mit einem Absperrgitter und zieht sich beim Sturz Schrammen an Knie und Ellbogen zu. Zur Aufgabe soll aber sein beträchtlich beschädigter Vorderreifen geführt haben. Das sorgt bei Gammenthaler für Stirnrunzeln: «Wenn ein Mitfavorit an einer WM einen Defekt hat am Rad, stoppt ein Teamkollege, der nicht zu den Top-Favoriten gehört, und hilft.»

Henri Gammenthaler
Bild: zVg

Henri Gammenthaler analysiert das Radsport-Geschehen für blue Sport. Der Zürcher war einst selbst Fahrer, später TV- und Radio-Experte und Kommentator der Tour de Suisse.

Gammenthaler fügt an: «Ein Schaden am Vorderrad sollte relativ schnell repariert sein. Falls sich Hirschi beim Zwischenfall also nicht ernsthaft verletzte, wirkt diese frühe Aufgabe für mich bizarr.» Hinzu komme, dass die Schweizer materialtechnisch mehr als gut aufgestellt seien. «Ich weiss nicht genau, was das Problem war. Aber das darf an einer WM eigentlich nicht passieren.»

Allerdings passt die Aufgabe im Fall von Hirschi ins Bild einer zumindest bisher verkorksten Saison. Trotz dem Aufwärtstrend und dem ersten Saisonsieg bei der Luxemburg-Rundfahrt zuletzt kann sich der Berner seit dem überraschenden Teamwechsel vor dieser Saison nie so richtig bestätigen und bleibt auch hinter den Erwartungen von Gammenthaler zurück. «Jetzt kommt noch Paris-Roubaix. Da muss Hirschi jetzt liefern. So viel Pech kannst du nicht haben, dass du immer stürzt oder andere Zwischenfälle hast. Dann ist es auch nicht mehr nur Pech – das hat er langsam aufgebraucht.»



Gino Mäder als Lichtblick

Es könne nicht immer eine Ausrede geben, macht Gammenthaler klar und betont: «Schlussendlich fehlt da womöglich auch etwas der Biss und die Härte, welche die Konkurrenz um beispielsweise Weltmeister Alaphilippe auszeichnet.» Für den Rad-Experten macht dies auch jüngst an der WM den Unterschied – zu Ungunsten von Hirschi und Co.

Als Schweizer Lichtblick der letzten Wochen nennt Gammenthaler denn auch einen Namen, der gar nicht erst bei der WM am Start steht. Doch was Gino Mäder an der Vuelta Anfang dieses Monats zeigt, beeindruckt den langjährigen Kenner der Szene enorm. «Mäder ist der erste Schweizer Profi in diesem Jahrtausend, der sich an einer grossen Tour im Gesamtklassement in die Top 5 kämpfen konnte. Er hat die Fähigkeit, sich schnell zu erholen und in Bergetappen leiden zu können. Insbesondere was Rundfahrten angeht, ist er für mich die grosse Schweizer Zukunftshoffnung.»