Nach 14 Saisons mit den Philadelphia Eagles wechselte Trainer Andy Reid 2013 zu den Kansas City Chiefs. Nun kommt es im Super Bowl in der Nacht auf Montag zum speziellen Wiedersehen.
Andy Reid wäre nicht Andy Reid, wenn er die Bedeutung des Duells gegen «seine» Philadelphia Eagles künstlich erhöhen würde. Für die Medien sei es sicher eine schöne Geschichte, sagte der Chiefs-Trainer bei einem der obligaten Presseterminen vor dem Super Bowl. Für ihn sei es bloss ein Football-Spiel. «Zwei Teams spielen gegeneinander, welche Trikots die Spieler auf dem Platz tragen, ist egal. Es geht darum, wer hat das bessere Team, die besseren Trainer, das bessere Spiel. Alles andere muss man ausblenden.»
Dennoch ist die Ausgangslage speziell, denn Reid hat die Eagles über ein Jahrzehnt massgeblich geprägt. 1999 wurde der damals 40-Jährige von Philadelphia engagiert, was ihn zum zweitjüngsten Headcoach der Liga machte. Aufgrund der mangelnden Erfahrung war die Ernennung nicht unumstritten. Reid war sieben Jahre zuvor bei den Green Bay Packers in die National Football League (NFL) gekommen und hatte dort mehrheitlich Assistenzposten innegehabt. Jedoch sprachen sich Gefährten für Reid aus und bezeichneten ihn als akribischen Arbeiter sowie gewieften Taktiker.
Das Risiko, das die Eagles mit Reids Verpflichtung eingegangen sind, sollte sich lohnen – zumindest grösstenteils. Zwischen 2000 und 2010 führte Reid das Team neun Mal in die Postseason – das Äquivalent zu den Playoffs in anderen Sportarten -, ein Mal auch in den Super Bowl. 2005 verloren die Eagles 21:24 gegen die New England Patriots. Gehen musste Reid Ende der Saison 2012, als er zum zweiten Mal in Folge den Einzug in die Playoffs verpasste.
Mahomes als entscheidendes Puzzleteil
Wenige Tage nach dem Ende bei den Eagles unterschrieb Reid bereits bei den Kansas City Chiefs. Dort schien sich die Geschichte zu wiederholen: Zwar brachte er die Chiefs, davor ein notorisches Verlierer-Team, regelmässig in die Postseason, die Krönung blieb ihm jedoch lange verwehrt. So wurde er in der Öffentlichkeit immer mehr zum «netten Versager».
Reid, der sich selbst als leidenschaftlichen Esser und grossen Cheeseburger-Fan bezeichnet, sammelte mit seinem trockenen Humor Sympathiepunkte. Aufgrund eines Schicksalsschlags erntete er auch viel Mitgefühl. 2012 starb sein drogenabhängiger Sohn – eines von fünf Kindern – an einer Überdosis Heroin. Ein anderer Sohn, der ebenfalls im Drogengeschäft verwickelt war, schien rehabilitiert und assistierte den Vater bei den Chiefs. Er sollte später verhaftet werden, weil er betrunken einen Autounfall verursachte, bei dem ein 5-jähriges Mädchen schwer verletzt wurde.
Auch deshalb mochte man es Reid weit herum gönnen, als er 2020 endlich zum ersehnten Super-Bowl-Triumph kam. Das entscheidende Puzzleteil für den Erfolg war Quarterback Patrick Mahomes, der – ähnlich wie Reid – mit Vorbehalten in die NFL geholt wurde, sich dann aber zu einem Leistungsträger entwickelte, der die Liga noch jahrelang prägen könnte. Der 27-Jährige bildet eine Symbiose mit Reid, und die beiden werden bereits mit dem jahrzehntelang erfolgreichen Patriots-Duo Bill Belichick und Tom Brady verglichen. «Coach Reid ist immer vorbereitet und leidenschaftlich bei der Arbeit», sagte Mahomes am Mittwoch. «Er weiss genau, wie er das Beste aus den Spielern herausholt, wobei der Spass bei ihm trotzdem nicht zu kurz kommt.»
Wiedersehen auch für den Eagles-Trainer
Im Super Bowl sehen die Wettanbieter die Kansas City Chiefs jedoch leicht unterlegen. Besonders die Knöchelverletzung von Mahomes sorgt für Zweifel an dessen Leistungsfähigkeit. Diese, so versichern Trainer und Spieler seit Tagen, sei gut verheilt und der Quarterback sei entschlossener denn je.
Gegen die starken Eagles könnte aber auch das nicht reichen. Besonders der 24-jährige Quarterback Jalen Hurts liess in dieser Saison sämtliche Restzweifel an seinem Können verschwinden. Wie Mahomes gilt er als mobiler Quarterback, heisst, er passt nicht nur, sondern läuft auch gerne selbst mit dem Ball. Das macht es schwieriger, das Angriffsspiel lesen zu können.
Eagles-Trainer Nick Sirianni ist 41 und damit ganze 23 Jahre jünger als Andy Reid. Auch für ihn ist der Super Bowl ein Wiedersehen mit einer für ihn prägenden Franchise. Er wurde 2009 von den Kansas City Chiefs aus dem College-Football in die NFL geholt. In verschiedenen Funktionen blieb er vier Saisons im Coaching-Team. Unter Reid als Headcoach erhielt er aber keinen neuen Vertrag. «Ich hatte Gutes über Nick gehört, wollte jedoch meinen langjährigen Assistenztrainer mitnehmen, weshalb es für ihn keinen Platz mehr gab», erklärte Reid. Diesen Entscheid habe er Reid nie übelgenommen, sagte Sirianni. Vielmehr habe er die Ehrlichkeit des Trainers geschätzt. Trotzdem dürfte er, der bei den Eagles seit 2021 erstmals als Headcoach tätig ist, in der Nacht auf Montag (Kickoff um 00.30 Uhr Schweizer Zeit) besonders motiviert sein.