Der 16-jährige Luke Littler schnuppert an seiner ersten WM am grössten Coup der Darts-Geschichte, wird aber im Final von Luke Humphries gestoppt. Selbst der Sieger sieht sich nur als Platzhalter.
Am Ende reichte es nicht ganz zum ganz grossen Wurf. 4:2 führte Luke Littler im siebten und letzten Match seiner ersten WM. Wenig fehlte zur 5:2-Führung im Final auf sieben Gewinnsätze, da verkürzte sein Gegner Luke Humphries mit einem 170er-Maximalfinish auf 3:4 und drehte das Spiel zu seinen Gunsten. 7:4 setzte sich der Topfavorit im Duell um den Siegercheck von 500'000 Pfund (540'000 Franken) schliesslich durch.
Luke Humphries ist der verdiente Weltmeister. Der 28-jährige Engländer war der mit Abstand beste Darter des Jahres 2023. Mit bestechender mentaler Stärke wandte «Cool Hand Luke» ein frühes Turnier-Aus in Runde 3 ab, im Final stoppte er den Senkrechtstart seines zum Wunderkind ausgerufenen, zwölf Jahre jüngeren Landsmanns Luke Littler.
Dem einstigen Dachdecker, der als Jugendlicher übergewichtig war und unter Depressionen litt, gehört die Gegenwart. Mit einem gesünderen Lebenswandel und viel Disziplin überwand der Vater eines einjährigen Jungen seine Probleme, mit etwas Glück fand er zurück in die Spur, nachdem er sich aufgrund von Panikattacken für ein halbes Jahr aus dem Sport zurückgezogen hatte und die Freude am Spiel erst an einem Plauschturnier wiederfand.
Wie ein alteingesessener Pub-Stammgast
Die Zukunft aber, darin sind sich Spieler und Experten einig, gehört Luke Littler, dem unscheinbaren, viele Jahre älter aussehenden Teenager mit Dreitagebart, der Postur eines langjährigen Stammgastes im Dorfpub und dem Schalk im Gesicht. Selbst Humphries sieht sich als Weltmeister und Weltnummer 1 nur als Platzhalter für den designierten Nachfolger von Phil Taylor, der Darts-Legende schlechthin. «So einem 16-Jährigen begegnest du kein zweites Mal. Er wird Darts dominieren, er ist ein unglaubliches Talent. Ich musste mir den Titel jetzt holen, weil in den nächsten Jahren ist er auf jeden Fall da», sagte Humphries nach seinem Triumph.
Littler bestritt seine erste WM und schlug ein wie eine Bombe. Mit Statistiken, wie sie zuvor an Weltmeisterschaften nur Taylor und Michael van Gerwen, die zweite dominante Figur des Sports, über eine längere Spanne vorwiesen, zog der Teenager aus der Grafschaft Cheshire bei seiner Premiere im Stil eines abgebrühten Routiniers in den Final ein. Auch den Ex-Weltmeistern Rob Cross (6:2 im Halbfinal) und Raymond van Barneveld (4:1 im Viertelfinal) blieb nach den Begegnungen mit Littler nur von Lobeshymnen begleitetes Staunen.
Mit seinen so überzeugenden wie erfrischenden Auftritten löste Littler eine Euphorie aus, die vom legendären «Ally Pally» über ganz England in die Welt hinaus schwappte und dem Sport Rekordeinschaltquoten bescherte. Superlative überschlugen sich, deutsche und englische Medien zogen nach Littlers Finaleinzug schon Vergleiche zu den kometenhaften Aufstiegen von Boris Becker im Tennis (Wimbledon-Sieger mit 17 Jahren), Max Verstappen in der Formel 1 (jüngster GP-Sieger mit 18) und Michael Phelps im Schwimmen (Weltmeister in Weltrekordzeit mit 16).
Aus den Windeln zur 180
Der frühe Zeitpunkt von Littlers erstem WM-Final als Debütant und Nummer 164 der Weltrangliste mag überraschen. Dass er es eines Tages dahin schaffen würde, war indes absehbar. Von klein auf war «Luke the Nuke» seinen gleichaltrigen Gegnern einen Schritt voraus. 18 Monate nach seiner Geburt, so schilderten es seine Eltern, warf er seine erste Pfeile auf ein Magnetbrett. Als Vierjähriger benutzte er eine konventionelle Scheibe, bald darauf verbuchte er seine erste 180. An den Nachwuchsturnieren bewegte sich Littler üblicherweise in höheren Altersgruppen. Dort gelang ihm auch der erste Nine-Darter, ein Satzgewinn mit der niedrigsten Zahl an Würfen. 2023 holte er sich den Titel an der Junioren-WM, an der er theoretisch noch sechsmal startberechtigt wäre.
Für den Dartsport, dem es an der Spitze nach den Regentschaften von Taylor und Van Gerwen an prägenden Figuren mangelt, kommt Luke Littler wie gerufen. Taylor, zwischen 1990 und 2013 16-mal Weltmeister, machte den Sport salonfähig und lukrativ. Sein niederländischer Nachfolger Van Gerwen, kahlköpfig mit bisweilen furchteinflössender Mimik, manchmal amüsant, manchmal niederträchtig, war nie der grosse Sympathieträger – so wie die anderen Weltmeister nach Taylor zu wenig beständig oder charakterstark waren, um dem Sport vergleichbar den Stempel aufzudrücken.
Auch Luke Humphries fehlt es, weil er die Emotionen weitestgehend aus seinem Spiel fernhält, bei aller Sympathie an Strahlkraft. «Ich muss etwas langweilig sein, um Major-Titel zu gewinnen», gestand der neue Weltmeister. Mit seiner bewegenden Geschichte kann er aber in den nächsten Jahren durchaus der Konterpart zum aussergewöhnlichen Luke Littler sein.