Die Schweizer Handball haben an der WM in Ägypten beste Werbung in eigener Sache gemacht. Ein Interview mit Leistungssportchef Ingo Meckes.
Ingo Meckes, die Schweiz schloss die WM in Ägypten in der ersten Ranglistenhälfte (Top 16) ab. Wie stufen Sie das ein?
«Es ist das Ende einer schönen Abenteuerreise. Als am Dienstagabend (vor zwei Wochen) um 22 Uhr klar war, dass wir nachrücken können, war es eine Situation 'friss oder stirb'. Wir wollten dann unbedingt den President's Cup der acht Gruppenletzten vermeiden, das war kurzfristig die Zielsetzung. Dass wir nun in den Top 16 klassiert sind, das ist Wahnsinn, auch die Auftritte der Mannschaft. Wir machten kein einziges schlechtes Spiel, brachten Frankreich (24:25) an den Rand einer Niederlage. Es entstand ein Flow, wir wurden nach dem Auftaktsieg gegen Österreich von den Emotionen getragen.»
Hand aufs Herz, hätten Sie solche Leistungen mit diesen Voraussetzungen für möglich gehalten?
«Sicherlich war das Spiel gegen Österreich sehr wichtig. Wenn wir das verloren hätten, wäre es um die letzten acht Plätze gegangen, dann hätte es zäh werden können. Wir waren jedoch bereit, lieferten nach elf Stunden Reise einen riesigen Kampf ab. Die Energieleistung in der zweiten Halbzeit war unglaublich. In der Folge konnten wir nur noch gewinnen. Mein persönliches Highlight war der Sieg gegen Island, unsere Abwehr war an diesem Tag Weltklasse.»
Gibt es sonst noch etwas, das Sie besonders gefreut hat?
«Die Professionalität, welche die Mannschaft in den elf Tagen vorgelebt hat, das zeigt mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir hatten keine Eingewöhnungszeit, waren gleich voll im Turnier drin. All das zu verarbeiten, war nicht einfach, dennoch hat es von Anfang an funktioniert. Das zeigt, dass wir fokussiert sind. Ich denke, die Mannschaft weiss nun, was sie kann.»
Auffallend war, über welchen Spirit das Team verfügt. Wie haben Sie das erlebt?
«Jeder stellt sich in den Dienst der Sache. Als das Gepäck knapp ankam (70 Minuten vor Anpfiff), war es Andy Schmid, der in den Wagen gestiegen ist und die Taschen ausgeladen hat. Das ist sinnbildlich. Bei uns gibt es keine Allüren, jeder ordnet sich dem Teamgedanken unter. Das ist das Schöne.»
Denken Sie, dass die verrückte WM-Geschichte die Mannschaft noch enger zusammenschweissen wird?
«Ja, das Ganze hat uns als Einheit brutal zusammengeschweisst. Wichtig ist nun, das zu bestätigen. Es wird nun ganz anders gegen Finnland, Dänemark und Nordmazedonien. Da müssen wir die positiven Sachen mitnehmen. Es wird eine Situation, auf die wir uns wieder neu einstellen müssen. Klar ist, dass wir die Heimniederlage gegen Nordmazedonien ausbügeln und uns für die Europameisterschaft qualifizieren wollen. Ich erhoffe mir nun nochmals einen richtigen Schub. Wir müssen uns jedoch weiterhin jeden Sieg hart erarbeiten, das sahen wir gegen Algerien. Wenn wir am Limit spielen, haben wir gegen jeden Gegner eine gute Chance, wenn das nicht der Fall ist, können wir auch gegen jeden verlieren. Das ist die Lehre, die wir aus der WM ziehen. Grundsätzlich glaube ich, dass man sah, dass wir uns gegenüber der letztjährigen EM weiterentwickelt haben.»
Gab es ein Feedback, das Sie speziell gefreut hat?
«Mich freut, wenn Vertreter von Swiss Olympic, vom BASPO, von grossen Sportverbänden in der Schweiz unsere Leistungen honorieren. Da gab es regen Zuspruch. Das zeigt den Zusammenhalt der Sportwelt hierzulande. Nun müssen wir uns jedoch auf die nächste Phase einstellen, irgendwann werden solche Erfolge erwartet.»
Was erhoffen Sie sich konkret von den guten Auftritten an dieser WM?
«Die Aufmerksamkeit, die der Handball bekommen hat, können wir sicher für uns nutzen. Das Bild der Mannschaft ist momentan sehr positiv. Das ist eine Steilvorlage für den Handball und ist gerade in der momentan schwierigen Phase für die Vereine und den Verband sehr wichtig.»
Wie konkret wollt Ihr die Steilvorlage nutzen?
«Wir müssen nun schauen, wie wir mehr Leute zum Handball bringen. Der Zentralvorstand hat diesbezüglich spannende Ideen, dass früher oder später eine Person eingestellt wird, die sich nur darum kümmert, neue Märkte zu erschliessen. Dann müssen wir die Vereine dahin bringen, noch mehr in die Nachwuchsarbeit zu investieren. Da gilt es, noch den einen oder anderen Schritt zu machen. Wir waren im Nachwuchs in den letzten Jahren nicht mehr an Grossanlässen dabei. Klar können wir nicht immer super Jahrgänge erwarten, aber dass wir uns regelmässig qualifizieren schon. Gerade weil die WM so schön war, müssen wir umso mehr dort ansetzen.»
Die Mannschaft besteht einerseits aus vielen jungen Spielern, die noch einiges Entwicklungspotenzial haben, andererseits steht der klare Teamleader Andy Schmid (37) am Ende der Karriere. Wo sehen Sie die Schweiz in den nächsten Jahren?
«Klar, wenn Andy wegbricht, wird dies wahrscheinlich dazu führen, dass es erstmals einen kleinen Schritt zurückgeht. Sollte das der Fall sein, dürfen wir uns dennoch nicht von unserem Weg abbringen lassen. Es geht um eine langfristige Zielsetzung. Ich glaube, dass wir bei den Jahrgängen 2000 und 2001 einige Talente haben. Da möchte ich Mehdi Ben Romdhane (19) erwähnen, der in Ägypten dabei war, der aus meiner Sicht mittel- bis langfristig Andy ersetzen könnte.»
Vielleicht spielt ja Schmid nun noch etwas länger weiter.
«Die EM 2024 in Deutschland wäre für Andy ein schöner Abschluss. Wir müssen alles dafür tun, diese Option zu ermöglichen.»
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