Olympia-Rückblick Als Dominik Meichtry den grossen Michael Phelps in die Schranken wies

SDA

2.7.2020 - 05:33

Dominik Meichtry trumpfte im Vorlauf an den Olympischen Spielen in Peking 2008 gross auf und überraschte die Schwimmwelt.
Dominik Meichtry trumpfte im Vorlauf an den Olympischen Spielen in Peking 2008 gross auf und überraschte die Schwimmwelt.
Source: Getty

Dominik Meichtry verblüfft an den Olympischen Spielen 2008 in Peking die Schwimmwelt. Der Ostschweizer schwimmt auf seiner Paradestrecke 200 m Crawl schneller als Michael Phelps – aber nur im Vorlauf.

10. August 2008 im Pekinger Schwimm-Nationalstadion, genannt «Water Cube». Dort, wo in der ersten Olympia-Woche die Schwimmwettkämpfe ausgetragen wurden. Alle Blicke waren an diesem Sonntag – wie sonst fast durchwegs – auf den grossgewachsenen Athleten auf der mittleren Bahn des achten und letzten Vorlaufs über 200 m Crawl gerichtet: Michael Phelps, Amerikaner, 23 Jahre alt, 1,93 m gross und zu diesem Zeitpunkt schon siebenfacher Olympiasieger und 17-facher Weltmeister.

Hingegen dem Schwimmer auf dem Startblock der Bahn 2 – Dominik Meichtry, Schweizer, ebenfalls 23-jährig, aber nur 1,83 m gross und ohne grosse Meriten –, schenkte kaum einer der fast 17'000 Zuschauer in der Halle Beachtung. Das sollte sich nach dem Start schnell ändern. Meichtry legte seinen geplanten Blitzstart hin, ging deutlich in Führung und wendete nach 100 m mit klarem Vorsprung auf die Konkurrenz.

Vor Phelps geblieben: «Ein Super-Gefühl»

Nach zwei von vier Bahnlängen fehlten dem Ostschweizer nur 22 Hundertstel auf Phelps' Weltrekord-Durchgangszeit. Auch nach 150 Metern lag Meichtry weit voraus, ehe er seinem anfänglich horrenden Tempo Tribut zollen begann. Kürzer und kürzer wurden die Armzüge des technisch starken Schwimmers. Obwohl er die Geschwindigkeit nicht mehr ganz so hochhalten konnte, schlug der Aussenseiter mit grossem Vorsprung und in der für ihn sagenhaften Zeit von 1:45,80 Minuten an.



«Vor Michael Phelps zu sein, ist ein Super-Gefühl», sagte Meichtry nach seinem Exploit. Und fügte mit einem schelmischen Lächeln hinzu: «Meinen Namen kannten wohl schon einige. Nun kennen alle auch das Gesicht dazu.» Erstmals hatte der Globetrotter, der zu diesem Zeitpunkt schon in Athen, Kinshasa, Los Angeles, Hongkong, Johannesburg und im kalifornischen Berkeley gelebt hatte, in einem internationalen Becken «so richtig Wellen geworfen», wie er es selbst formulierte.

Der grosse Traum

Natürlich war auch Meichtry klar, dass seine Leistung für den finalen Medaillenkampf ein Muster ohne grossen Wert war. Ein Favorit wie Phelps muss mit seinen Kräften möglichst haushälterisch umgehen. Schliesslich verordnete sich der Überflieger des Schwimmsports in Peking ein Mammutprogramm. Die Vorläufe waren für den Superstar, der China am Ende mit den von ihm angestrebten acht Goldmedaillen verlassen sollte, nicht mehr als ein wettkampfmässiges Einschwimmen.

Hingegen bei Meichtry ging es von Anfang an um alles. Zunächst um das sichere Überstehen der Vorläufe, wenige Stunden später dann um die Teilnahme am Olympia-Final – seinem seit vier Jahren gehegten Traum. Meichtry hatte nach den Sommerspielen 2004 in Athen, wo er in den Halbfinals als 14. ausgeschieden war, an die Universität in Berkeley gewechselt. Dort entwickelte er zusammen mit seinen neuen Betreuern um Headcoach Dave Salo einen Masterplan. Dieser sah vor, in Peking über 200 m Crawl die Top 8 der Welt zu erreichen. Dazu war ein gewaltiger Leistungssprung nötig. In mehreren Schritten verbesserte Meichtry seine Bestzeit bis Frühling 2008 um gut zwei Sekunden auf 1:47,18 – eine Marke, welche er im Vorlauf in Peking regelrecht pulverisierte.

«Der Masterplan ging auf»

Diese Zeit von 1:45,80, damals die siebtbeste der Geschichte, hat auch ein Dutzend Jahre später als Landesrekord Bestand. Der Ostschweizer selbst war danach in Peking sowohl im Halbfinal (1:46,54) wie auch im Final (1:46,95) klar langsamer unterwegs. Olympia-Sechster zu werden, damit konnte Meichtry gut leben: «Der Masterplan ging auf. Vier Jahre hartes Schaffen haben sich gelohnt.»

In den folgenden Jahren kam Meichtry ebenfalls nie mehr an seine famose Bestleistung heran. Das hing nicht zuletzt auch damit zusammen, dass Ende 2009 die Ära der Hightech-Ganzkörperanzüge zu Ende ging. Im November 2014 trat Meichtry zurück. Der Wettkampf in Peking blieb sein bester. An den Weltmeisterschaften 2011 in Schanghai stand er auf seiner Spezialstrecke ebenfalls im Final (7. Platz). Auf europäischer Ebene gewann Meichtry (zu) selten Medaillen. Einzig im Dezember 2008 in Rijeka gab es über 200 m Crawl Kurzbahn-EM-Silber. Ansonsten konnte Meichtry die Erwartungen, die er am 10. August 2008 im «Wasserwürfel» geweckt hatte, nicht ganz erfüllen.

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