Rad-WM in Zürich Metzgete, ein Denkmal und verrauchte Nächte

sda

19.9.2024 - 05:01

Erstmals seit fast 80 Jahren trägt Zürich wieder Strassenrad-Weltmeisterschaften aus. Die Stadt blickt auf eine ruhmreiche Radsport-Geschichte zurück.

Zürich wird in den nächsten Tagen zum Nabel der Radsport-Welt. Für die Limmatstadt ist es gewissermassen eine Rückkehr zu den sportlichen Wurzeln. Im Industriezeitalter zur Wirtschafts- und Finanzmetropole aufgestiegen, war die Stadt einst auch die Schweizer Topadresse für den Radsport – und dies mit globaler Ausstrahlung.

Dreimal war Zürich Schauplatz der Strassenrad-WM: 1923 (damals nur für Amateure), 1929 und 1946. Vor allem die letzte Austragung, die erste nach dem zweiten Weltkrieg, war aus einheimischer Sicht denkwürdig. Hans Knecht war 1946 der erste Schweizer, der sich das begehrte Regenbogentrikot überstreifen liess.

Vom Färber zum Weltmeister

Der gelernte Färber aus Zürich Albisrieden, 1938 bereits Weltmeister bei den Amateuren, schlug den Favoriten im strömenden Regen ein Schnippchen und siegte vor begeisterten 50'000 Zuschauenden. Es waren 32 Profis am Start, von denen nur 17 das Ziel erreichten. Der Andrang war so gross, dass Soldaten und Polizisten die Menge bei der Siegerehrung zurückdrängen mussten.

Dann, Anfang der Fünfzigerjahre, folgten hierzulande mit Ferdy Kübler und Hugo Koblet die goldenen Zeiten des Radsports. Die beiden Zürcher sind bis heute die einzigen Schweizer Gewinner der Tour de France. Ihre Rivalität begeisterte die Massen und löste eine nie dagewesene Radsport-Euphorie in Zürich aus.

Wie Knecht, Kübler oder Koblet haben auch die «Züri Metzgete», die Offene Rennbahn Oerlikon und das Sechstagerennen im Hallenstadion ihren festen Platz in der Zürcher Radsport-Geschichte.

Ein Radsport-Denkmal

Überlebt hat einzig die Offene Rennbahn in Oerlikon. Das 333,333 Meter lange Oval wurde 1912 als erste Spannbeton-Konstruktion der Welt erbaut und gilt als ein bauhistorisches Meisterwerk. In Spitzenzeiten pilgerten Sonntag für Sonntag tausende Menschen zu den Rennen. Heute ist die Rennbahn die älteste in Betrieb stehende Sportanlage der Schweiz.

Dabei drohte ihr schon mehrmals der Abbruch, weil das Geld für den Betrieb fehlte oder alternative Pläne für ein Alterszentrum, Hallenbad oder Parkhaus geschmiedet wurden. Doch so weit kam es zur Freude der Radsport-Nostalgiker nie.

Die ruhmreichen Zeiten gehören zwar der Vergangenheit an, eine Interessen-Gemeinschaft Offene Rennbahn (IGOR) sorgt jedoch dafür, dass die Anlage am Leben gehalten wird. In den warmen Monaten finden im Herzen Oerlikons bei guter Witterung jeweils dienstags Abendrennen statt. Heute zählt die Offene Rennbahn zu den denkmalgeschützten Objekten des Kantons Zürich. Am Sonntag ist sie der Startort für das Zeitfahren der Männer.

Sport und Party im «Wädli-Tempel»

Gleich nebenan steht das 1939 eröffnete Hallenstadion. Wegen der unberechenbaren Witterungsbedingungen mussten immer wieder Rennen abgesagt werden, deshalb wurde in unmittelbarer Nachbarschaft der Bau einer überdachten Velorennbahn initiiert. 1954 wurde dort das erste Sechstagerennen veranstaltet. Es folgten zig Austragungen, mit verrauchten Nächten und Rennen bis in die frühen Morgenstunden. Das Hallenstadion war Zürichs meistbesuchtes Nachtlokal. Während die Velofahrer unten auf der alten Holzbahn im Kreis fuhren, ging oben auf den Rängen die Party ab.

Doch das Publikum verlor mehr und mehr das Interesse. 2001 folgte die Derniere. Sechs Jahre später wurde die traditionelle Radsportveranstaltung nach dem Umbau des Hallenstadions zwar neu lanciert, doch selbst die Verkürzung auf vier Abende half nichts. Der Event liess sich nicht mehr finanzieren. So fand 2014 unter dem Namen «Sixday-Nights» die letzte Austragung statt.

Geldsorgen besiegelten ein Jahr später auch das Ende der 1910 ins Leben gerufenen «Züri-Metzgete», die zuletzt nur noch als Amateurrennen veranstaltet wurde. Die «Meisterschaft von Zürich», wie das älteste Radrennen der Schweiz ursprünglich hiess, war bis 2006 jahrzehntelang eines der wichtigsten Eintagesrennen im Profi-Zirkus.

Nun also macht die Weltelite des Radsport erneut in Zürich Halt. Ein Hauch von guten, alten Zeiten – und neue Geschichten, die geschrieben werden.

sda