Das Training macht sie schneller, und die Schuhe mit Karbon-Platten in der Sohle auch. Insbesondere die Frauen profitieren von der Entwicklung beim Material. Drei Erkenntnisse lassen sich ableiten.
Die Leistungen im Sprint werden seit einigen Jahren frappant besser – nicht nur auf internationalem Niveau. Das Wettrüsten der Sportartikel-Hersteller führte dazu, dass Karbon-Platten in die Schuhe eingebaut werden. Der Weltverband World Athletics erliess zwar Reglemente, um in der Schuhsohle versteckte «Mini-Trampolins» zu verhindern, aber ein leistungssteigernder Effekt ist gleichwohl nachweisbar.
«Wer leichter ist, der profitiert mehr», nennt Adrian Rothenbühler als erste Erkenntnis. Der Schweizer Trainer des Jahres 2019, ein ehemaliger Zehnkämpfer und in Magglingen als Trainerausbildner, ist oft die erste Ansprechperson, wenn es um Trainingslehre, Kraft oder Kondition geht. Der Coach der Kambundji-Schwestern hat demnach Glück: Die leichtgewichtigen Frauen profitieren mehr als die schwereren Männer. Zehn Frauen blieben an der WM in Eugene im 100-m-Sprint unter elf Sekunden, nur vier Männer wurden unter zehn Sekunden gestoppt.
Effekt in der fliegenden Phase
«In der zweiten Phase des Rennens bringen die neuen Schuhe mehr als in der Beschleunigung», formuliert Rothenbühler die zweite Erkenntnis. Erst wenn die fliegende Phase einsetze, komme der Effekt der Karbon-Platten voll zum Tragen.
Soweit die Theorie. In der Praxis wird nur schneller, wer auch den Laufstil anpasst. Die Fussstellung muss passen, damit die Energie beim Abdrücken des Fusses vom Boden wie bei einer Feder zurück in die Laufrichtung geht.
Mujinga Kambundji schaffte die Umstellung nicht auf Anhieb, wie die Analysen aus dem Olympia-Jahr 2021 zeigen. In Tokio hatte sie gemäss Rothenbühler als erste der 100-m-Finalistinnen ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht, und gemessen am Top-Speed war sie die Nummer 3. Aber am Schluss zogen doch noch ein paar Sprinterinnen vorbei, unter anderen Ajla Del Ponte. Die Fussstellung der Bernerin liess den optimalen Profit nicht zu.
«Je länger die Distanz, desto mehr profitiert man vom Schuh.»
Schweizer Trainer des Jahres 2019
Mujinga Kambundjis Lauftechnik wurde heuer bezogen auf die Schuhe effizienter. Neben Platz 5 im WM-Final über 100 Meter untermauern dies die Rückeroberung des Schweizer Rekords über 100 Meter (10,89) und die Verbesserung der 200-Meter-Bestmarke in zwei Etappen (22,18 und 22,05).
«Wir achten in jedem Training darauf, dass die Fussstellung stimmt und Mujinga auch bei lockeren Einheiten nicht in ein Jogging-Muster verfällt», betont Rothenbühler und fügt eine Warnung hinzu. Die Aggressivität der neuen Schuhe berge zusätzliche Verletzungsgefahren. «Die Achillessehne und die hintere Muskelkette insgesamt werden noch stärker belastet. Im Krafttraining haben wir deshalb die eine oder andere Anpassung vorgenommen.»
Am Anfang einer technischen Entwicklung profitieren nur diejenigen, die auch beim entsprechenden Hersteller unter Vertrag sind. Im Olympiajahr stellten sich viele die Frage, ob sie bestmöglich ausgerüstet sind. Laurent Meuwly, Coach von Ajla Del Ponte, gibt Entwarnung: «Die Gleichwertigkeit bei den Schuhprodukten ist gegeben. Jeder Athlet jeder Marke hat nun Zugriff.»
Der Romand, der Lea Sprunger über 400 Meter Hürden zur Europameisterin formte, nennt eine dritte Erkenntnis: «Je länger die Distanz, desto mehr profitiert man vom Schuh.»