Die Schweizer Leichtathletik befindet sich seit der EM 2014 im Steigflug. Dieser Trend setzt sich 2022 fort.
Die Saison 2022 ist noch nicht richtig lanciert, gleichwohl erreichten Schweizer Athletinnen und Athleten Medaillen und Rekorde, von denen man vor zehn Jahren nicht einmal zu träumen gewagt hätte. An der Hallen-WM im März in Belgrad gewann das Schweizer Team dank Mujinga Kambundji (Gold 60 m), Simon Ehammer (Silber Siebenkampf) und Loïc Gasch (Silber Hochsprung) gleich drei Medaillen. Die Frauen stellen somit im Sprint die aktuelle Hallen-Europameisterin und Hallen-Weltmeisterin, und dies durch zwei verschiedene Athletinnen (Ajla Del Ponte und Mujinga Kambundji). Oder der Marathonläufer Tadesse Abraham, die Siebenkämpferin Annik Kälin, Simon Ehammer (Zehnkampf und Weitsprung) und Chiara Scherrer (5 km) eröffneten mit Schweizer Rekorden.
Swiss Athletics ist so breit aufgestellt wie noch nie. Die Etablierten liefern – und eine junge Generation drückt nach. Von der letztjährigen Olympia-Crew haben deren fünf einen 2000er-Jahrgang: Andrina Hodel, Ditaji Kambundji, Cynthia Reinle, Delia Sclabas und Ricky Petrucciani. Annik Kälin und Simon Ehammer (beide Jahrgang 2000) sind da nicht einrechnet und die Endneunziger mit William Reais, Yasmin Giger oder Jason Joseph stehen noch nicht im Zenit.
Riesige Delegationen
Für die Weltmeisterschaften in Eugene Ende Juli in den USA rechnet Philipp Bandi, Chef Leistungssport bei Swiss Athletics, mit 28 Athletinnen und Athleten, für die Europameisterschaften in München sogar mit deren 55! Angesichts dieser schieren Masse klingt die Zielvorgabe für die EM («Die fünf Medaillen von Amsterdam 2016 übertreffen») schon fast bescheiden.
Bandi, 2008 an den Spielen in Peking als 5000-m-Läufer am Start, weiss worauf die Hausse fusst. Es sind dies all die Begleitmassnahmen, die für ein erfolgreiches Abschneiden im Letzigrund an der EM 2014 eingeleitet wurden – UBS-Kids-Cup, Projekt Swiss Starters etc. Das EM-Gold von Kariem Hussein führte vielen Aktiven vor Augen, dass auch ein Schweizer Europameister werden kann. Mujinga Kambundji, Selina Büchel oder Lea Sprunger zogen nach und schon bald hatte der Nachwuchs zahlreiche Vorbilder im eigenen Land.
Männer gleichen aus
Dieser Aufwärtstrend lässt sich auch an Zahlen festmachen. Bandi errechnete für alle 2000er-Jahre die Anzahl erreichter EM-Limiten nach den Vorgaben des Jahres 2014. Die Graphik zeigt, wie die Schweiz in den Nullerjahren in ein Loch fiel. Im Jahr 2000, also in der Ära von André Bucher, Marcel Schelbert oder Anita Weyermann, hätten 36 Athletinnen und Athleten die EM-Limite für das Jahr 2014 geschafft. Danach sank dieser Wert kontinuierlich und erreichte 2006 und 2009 den Tiefststand (je 17).
Mit Blick auf Zürich 2014 zahlte sich die Aufbauarbeit schon ein erstes Mal aus: 50 Limiten. Der Wert sank in den Folgejahren wegen zahlreicher Rücktritte leicht, schnellt nun aber ein zweites Mal empor. 2021 wurde die Limiten-Vorgabe 2014 von 87 Athletinnen und Athleten erreicht. Die Entwicklung im Bereich der Schuhe half sicher mit, ist aber nicht der wesentliche Antreiber.
Die Anzahl der Top-20-Klassierungen Ende Saison in der europäischen Bestenliste (outdoor) geben ein ähnlichen Bild ab: 2010 gab es nur zwei solcher Klassierungen, 2014 dann 15, 2017 gar 26 und im vergangenen Jahr deren 25. Ins Auge sticht in dieser Graphik auch die Unterteilung nach Männern und Frauen. «Die Schweizer Leichtathletik ist weiblich», lautete ein Bonmot der vergangenen Jahre. Dies ist überholt. 2014 hatten die Frauen die Männer mit der Anzahl an Top-20-Klassierung überholt und den Vorsprung im Jahr 2017 mit 18:8 auf die Spitze getrieben. Die letzten drei Jahre hingegen verliefen ausgeglichen: 9:8, 10:10, 13:12 lautete die Aufteilung aus Sicht der Frauen.