An der EM 2000 in Helsinki gewinnt Flavia Rigamonti überlegen den Titel über 800 m Crawl. Hinter der Tessinerin sicherte sich die Thurgauerin Chantal Strasser Silber.
Die ersten Europameisterschaften im Schwimmen fanden bereits 1926 statt. Doch weder bei der Premiere noch bei den 23 folgenden Austragung der kontinentalen Titelkämpfe sollte es einer Schweizerin aufs Podest reichen – geschweige denn zum Titel. Dass sich bei der 25. EM aus Schweizer Sicht Historisches ereignete, hatte dennoch seine Logik. Schliesslich hatte sich Flavia Rigamonti in den Jahren zuvor Schritt für Schritt an die Weltspitze herangetastet. Nach Helsinki war die damals gerade 19 Jahre alt gewordene Maturandin aus Breganzona als eine der schnellsten Europäerinnen gereist. Der Medaillengewinn kam dergestalt nicht überraschend.
Doch die Souveränität, mit welcher sie die Aufgabe in Finnland meisterte, war mehr als beeindruckend. Mit «frappanter Gleichmässigkeit», wie die «NZZ» schrieb, habe Rigamonti im Final ihren Schweizer Rekord um weitere gut zwei Sekunden auf 8:29,16 gesenkt. Damit blieb die 800-m-Europameisterin zugleich nur um fünf Hundertstel über der Jahresweltbestzeit. Auch Chantal Strasser, die 16 Monate zuvor den Wechsel zu Rigamonti und ihrem Trainer Christophe Pellandini ins Tessin vorgenommen hatte, pulverisierte ihre persönliche Bestleistung regelrecht. Die Frauenfelderin büsste nur 2,2 Sekunden auf ihre Trainingskollegin von Atlantide Agno ein.
Die «Erntezeit»
«Die Leistung von mir und Chantal war heute schlicht und einfach spitzenmässig», befand Rigamonti nach dem historischen Triumph. Gleichzeitig betonte sie, dass «mir die Trainingsarbeit mit Chantal enorm geholfen hat. Dass wir uns optimal ergänzen, hat man ja bestens sehen können.» Die ersten 300 m schwamm die Tessinerin leicht hinter der drei Jahre älteren Strasser, ehe sie danach wie geplant zulegte. Der Schweizer Schwimmsport sei definitiv wieder olympiatauglich, befand der NZZ-Korrespondent in seinem Kommentar unter dem Titel 'Erntezeit'.
Nur allzu gerne hätten die zwei Schwimmerinnen zweieinhalb Monate nach der Sternstunde in Helsinki auch an den Olympischen Spielen «geerntet». Doch in Sydney setzte es für Rigamonti (4. Platz) und Strasser, die als Elfte den Finalvorstoss verpasste, Enttäuschungen ab. Der Tessinerin fehlten letztlich mehr als eineinhalb Sekunden zu Rang 3, womit Etienne Dagon mit Bronze 1984 in Los Angeles der einzige Schweizer Schwimmer mit einer Olympia-Medaille blieb.
Dreimal WM-Silber
An Welt- und Europameisterschaften sorgte Rigamonti jedoch regelmässig für Glanzpunkte. Im 50-m-Becken gewann sie über die nicht olympische 1500-m-Strecke nochmals EM-Gold (2008 in Eindhoven) sowie dreimal WM-Silber: 2001 bei der WM-Premiere in Fukuoka, dann 2005 in Montreal und schliesslich 2007 in Melbourne. Der Wettkampf in Australien blieb besonders in Erinnerung, weil sie als erste Nicht-Amerikanerin für die 30 Bahnlängen weniger als 16 Minuten benötigte. Auf der Kurzbahn gewann Rigamonti insgesamt zehn Auszeichnungen, davon dreimal Gold. Auch Strasser brillierte im 25-m-Pool. Im Dezember 2000 wurde die Thurgauerin, die nach den Sommerspielen 2004 in Athen zurücktrat, in Valencia Europameisterin über 800 m Crawl.
Was Rigamonti 2000 in «Down Under» noch nicht wissen konnte: Olympia sollte ihr nie wirklich gewogen sein. In Athen und auch 2008 in Peking verpasste Rigamonti den Finaleinzug der besten acht jeweils deutlich. Beide Male wurde sie nur enttäuschende 13. Der Wettkampf in China sollte zugleich ihr letzter sein. Sie blieb gut drei Sekunden über ihrem Landesrekord. Rigamonti zeigte sich «ganz klar enttäuscht über mein Abschneiden. Doch die Zeit ist einigermassen okay. Ich kann erhobenen Hauptes abtreten.» Von einem Medaillengewinn in Peking habe sie persönlich nie gesprochen, «nur andere Leute haben das getan».
Doch Rigamonti, die ansonsten in ihrer Karriere nach Enttäuschungen oft sehr missmutig Auskunft gab, nahm den Interview-Marathon nach ihrem Abschiedsrennen ungewohnt locker. Das zeigte zugleich, wie sehr sich ihre Prioritäten schon verschoben hatten. Sie könne es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen, sagte sie. Es sei einfach Zeit «für ein neues Kapitel in meinem Leben», so Rigamonti, die wenige Wochen nach Olympia in Dallas ihren Job bei einem international tätigen Beratungsunternehmen begann. 2013 zog sie nach einem beruflichen Aufstieg von Texas nach Washington D.C. weiter. Seit Sommer 2019 lebt und arbeitet die Tessinerin in Chicago.