Zürich
Giulia Steingruber meldete sich an den Weltmeisterschaften in Montreal mit Nachdruck auf der grossen Bühne zurück. Sie zeigte eine gute Qualifikation, womit bereits vor Ende des Wettkampfs klar war, dass sie den Mehrkampf- und den Sprung-Final erreichen würde.
Im August 2016 war Steingruber im Zenit ihrer Karriere gestanden. Nach den zwei EM-Titeln in Bern und dem Gewinn von Olympia-Bronze am Sprung lernte die beste Schweizer Kunstturnerin aller Zeiten auch andere Seiten des Lebens kennen. Ende 2016 nahm sie sich eine zwei monatige Auszeit und reiste mit einer Freundin nach Down Under. Zu Beginn des Jahres liess sie sich am rechten Fussgelenk operieren, ehe sie im Februar ein persönlicher Schicksalsschlag ereilte, als ihre körperlich und geistig behinderte Schwester verstarb.
In den vergangenen Monaten folgte der sorgfältige körperliche Wiederaufbau. Geduld war gefragt, um sich Schritt für Schritt wieder der Bestform von 2016 zu nähern. Erst Anfang September gab Steingruber an den Schweizer Meisterschaften in Morges ihr Comeback. Die Weltmeisterschaften in Kanada sollten zu einem Wiedereinstieg werden, der Blick geht bereits Richtung 2018, das Fernziel lautet Tokio 2020.
In Montreal, der Olympiastadt von 1976, kehrte Steingruber nun 414 Tage nach ihrem verpatzten Bodenfinal in Rio aber eindrücklich in das internationale Wettkampfgeschehen zurück. Im Mehrkampf totalisierte sie 53,132 Punkte, womit sie ihr Mindestziel für diese WM, den Einzug in den Final der besten 24, problemlos schaffte. Und am Sprung turnte sie den Tschussowitina sowie den Jurtschenko mit Doppelschraube sicher in den Stand - so, als wäre sie nie weg gewesen. Mit 14,750 Punkten und Rang 2 in der Zwischenwertung hinter der russischen Titelverteidigerin Maria Paseka wurde Steingruber belohnt, womit sie am Samstag im Sprung-Final um die Medaillen kämpfen wird; zum fünften Mal in Folge an Weltmeisterschaften.
"Ich bin mehrheitlich zufrieden und froh, dass ich sturzfrei durchgekommen bin", sagte Steingruber. Sie zeigte sich trotzdem auch selbstkritisch: "Der zweite Sprung war noch nicht ideal, aber ich darf mich nicht beklagen." Erst im Podiumstraining am Sonntag hatte sie entschieden, dass sie den Jurtschenko mit einer Doppelschraube springen wird. "In den Trainings hatte ich gespürt, dass das Gefühl wieder da ist."
Noch fehlt eine WM-Medaille im Palmarès der dreifachen Sprung-Europameisterin. Gelingen Steingruber die beiden Sprünge im Final der Top 8 am Samstag mindestens so überzeugend, liegt der Sprung auf das Podest zumindest nicht ausser Reichweite, auch wenn die Konkurrenz teilweise ein schwierigeres Programm springt.
Gut, aber nicht ganz so perfekt wie der Sprung war Steingruber der Auftakt in den Wettkampf am Boden geglückt. Nach der dritten Akrobatik-Bahn musste die Europameisterin von 2016 mit beiden Füssen das Quadrat verlassen, wofür sie mit drei Zehnteln Abzug bestraft wurde. Ein kleiner, aber im Kampf um den Einzug in den Final womöglich entscheidender Fehler. Ihre neue Choreografie ist eine Hommage an ihre verstorbene Schwester. "Ich hoffe, ich kann im Mehrkampf-Final die Übung für sie noch schöner machen."
Zwiespältige Gefühle bei Käslin
Nicht ganz so gut wie Steingruber lief es Ilaria Käslin. Die Tessinerin musste am Stufenbarren einen Sturz in Kauf nehmen und lag nach drei von fünf Abteilungen mit 49,432 Punkten auf Rang 15. Als "so lala" beurteilte Käslin ihren Auftritt. Fabienne Studer bezahlte bei ihrem WM-Debüt Lehrgeld. Nach gutem Wettkampfbeginn am Boden und am Sprung stürzte die 16-jährige Bernerin sowohl am Stufenbarren als auch am Schwebebalken.
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