Schon wieder wissen die Schwinger am Eidgenössischen nicht, was auf sie zukommt: Ein Christian Stucki, der nach den Verletzungen nur noch ein halber Stucki ist?
Oder vielmehr ein Stucki, der so schwingt, wie wenn er nie verletzt gewesen wäre?
Die Meldung vom Donnerstag war wohl für die meisten in der grossen Schweizer Schwingergemeinde eine Erleichterung und ein Aufsteller: Schwingerkönig Stucki mischt am Wochenende am Eidgenössischen in Pratteln mit.
Stucki ist mit seiner wuchtigen Erscheinung, die auf den ersten Blick schlecht zu seinem sanften Wesen passt, für viele der Schwinger schlechthin. Man kann ihn nicht verwechseln. Reiht man die Silhouetten der 278 Schwinger des ESAF nebeneinander auf, glauben bestimmt viele, aus den Umrissen Samuel Giger zu erkennen. Oder ist es vielleicht Pirmin Reichmuth? Bei einer bestimmten Silhouette würden viele auf Domenic Schneider tippen. Aber könnte es nicht auch Mario Schneider oder Tiago Vieira sein? Bei einem Einzigen werden sich alle einig sein: Der hier und kein anderer ist der Stucki.
Ohne jeden Druck von aussen
Wenn er sich nicht selbst Druck und Zwang auferlegt, wird der Seeländer Riese in Pratteln frisch drauflos schwingen können. Niemand erwartet, dass er mit 37 Jahren noch einmal Schwingerkönig wird, nachdem er schon in Zug 2019 mit 34 Jahren der mit Abstand älteste König der Schweizer Geschichte war. Er muss niemandem mehr irgendetwas beweisen. Dank den übrigen grossen Siegen seiner Karriere – am Kilchberger Schwinget 2008 und am Unspunnenfest 2017 – ist er der Inhaber des Grand Slams des Schwingsports. Nur Jörg Abderhalden kann sich dessen ebenfalls rühmen.
Christian Stucki ist ein Mensch, in dem sich viele wiedererkennen. Einer aus dem Volk, nahbar, offen. Genau deshalb ist er für alle «der Stucki». Aber gerade vor den Eidgenössischen Festen birgt er Geheimnisse in sich, die er selber nicht kennt. Vor drei Jahren in Zug musste man darüber spekulieren, wie stark er nach einer längeren Verletzungspause und einer sehr kurzen Vorbereitungszeit sein würde.
Der Stucki war eine Black Box. Erst am Fest selber zeigte sich: Er war in bester Verfassung. Er wurde Schwingerkönig, obwohl er das härteste Programm aller Favoriten zu meistern hatte. Samuel Giger, Armon Orlik, Pirmin Reichmuth und Joel Wicki waren die Schwinger, die sich in jener Saison von allen andern deutlich abgehoben hatten. Unter den vier gab es am ganzen Fest bis zuletzt kein einziges Duell. Stucki dagegen musste viermal gegen sie schwingen: Sieg gegen Reichmuth, Remis gegen Wicki, Remis gegen Orlik, Sieg im Schlussgang gegen Wicki. Diesen Königstitel konnte und kann man nicht hoch genug einschätzen.
Weiss der Stucki noch, wie es geht?
War Christian Stucki damals eine Black Box, so hat die jetzige Black Box 2.0 eher etwas von einem Schwarzen Loch, das kein Licht und keine Informationen freigibt. Sich ablösende Verletzungen verunmöglichten, dass Stucki in dieser Saison an irgendeinem Kranzfest mittun konnte. Selbst den geplanten wettkampfmässigen Fitnesstest am Bözingenberg-Schwinget zwei Wochen vor dem Eidgenössischen musste er streichen. Die Vorbereitung ist also noch einmal schlechter als jene von 2019 – weil sie nicht stattgefunden hat.
Das Alter von 37 Jahren macht alles nicht einfacher. Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit konnte er schulen. Aber vielleicht wird der Stucki am Samstagmorgen dankbar sein, wenn ihm einer kurz zeigt, wie man vorschriftsgemäss mit dem Gegner zusammengreift.