Zürich
Noch nie gewann Giulia Steingruber eine WM-Medaille. Nun bietet sich ihr am Samstag im Sprungfinal in Montreal nach Platz 3 in der Qualifikation unverhofft die Chance, das ihr noch fehlende Edelmetall zu holen. Und dies nur knapp neun Monate nach ihrer Fussoperation.
Platz 5, 4, 5 und 7 lauteten die Klassierungen von Giulia Steingruber an den letzten vier Weltmeisterschaften am Sprung. Sie sind ein Zeichen der Konstanz der schnellkräftigen Gossauerin, die sich schon früh in ihrer Karriere an diesem Gerät in der erweiterten Weltspitze etablierte. Doch während sie an Europameisterschaften dreimal Gold holte und 2016 in Rio de Janeiro mit Olympia-Bronze ihre Karriere krönte, gelang ihr an Weltmeisterschaften noch nie der Sprung auf das Podest. Immer gab es mindestens drei Athletinnen, die zwar selten schöner, aber meistens noch schwieriger als die Schweizerin turnten.
Nun eröffnet sich Steingruber am Samstag im Olympiastadion von 1976 die Möglichkeit, die letzte grosse Lücke in ihrem Palmarès zu schliessen. Als Dritte qualifizierte sie sich hinter der russischen Topfavoritin und Titelverteidigerin Maria Paseka und Jade Carey aus den USA für den Kampf um die Medaillen, in dem auch die 42-jährige Usbekin Oxana Tschussowitina wieder dabei ist. Vier Athletinnen zeigen zwar ein schwierigeres Programm als Steingruber, doch mit Ausnahme der Kanadierin Elsabeth Black erhielt in der Qualifikation keine bessere Noten für die Ausführung als sie. Und: "Ich habe noch Luft nach oben", sagte die Ostschweizerin.
Zu hohe Erwartungen will Steingruber aber nicht schüren: "Wichtig ist, dass ich diese zwei Sprünge noch einmal hinstellen kann. Dann sehen wir, was rauskommt." Dass sie bereits in Montreal wieder bei den Weltbesten mitmischen kann, hatte auch sie nicht unbedingt erwartet. "Die Vorbereitung auf die WM war alles andere als ideal. Es war eine extrem kurze Zeit", sagte Steingruber. Erst nach den Sommerferien konnte sie ihren im Januar operierten rechten Fuss wieder voll belasten und das Training am Sprung intensivieren. Nur rund ein Dutzend Mal zeigte sie den Jurtschenko mit Doppelschraube im Training, erst in Montreal entschied sie, diesen überhaupt im Wettkampf zu zeigen.
Steingruber bestritt nur die Schweizer Meisterschaften im Einzel und mit der Mannschaft, ehe sie nach knapp 16 Monaten wieder auf die internationale Bühne zurückkehrte. "Für mich war völlig klar, dass ich noch nicht wieder das gleiche Niveau wie in Rio haben werde." Zumindest am Sprung ist sie ihrer Top-Verfassung aber bereits wieder nahe. "Sie ist eine Kämpferin, hat einen starken Charakter - einfach sensationell", schwärmte Nationaltrainer Fabien Martin nach der Qualifikation von seiner Teamleaderin.
Ihren ersten Final bestreitet Steingruber am Freitag im Mehrkampf, in dem sie nach Platz 11 in der Qualifikation als Einzige die Farben des STV vertritt, nachdem Ilaria Käslin (30.) und WM-Debütantin Fabienne Studer (53.) diesen deutlich verpasst haben. "Auch hier gibt es noch Verbesserungspotenzial", so Steingruber. Am Boden kostete sie das Malheur nach der dritten Akrobatik-Bahn, als sie die Begrenzung mit beiden Füssen übertrat, den Platz im Gerätefinal. Und mit einer Steigerung am Stufenbarren und am Schwebebalken liegt die Egalisierung von Rang 7, ihrem bislang besten Mehrkampf-Ergebnis an Weltmeisterschaften, in Reichweite.
Nachfolgerin von Simone Biles gesucht
Das Rennen um die Nachfolge der in Montreal abwesenden Amerikanerin Simone Biles, die seit 2013 jeden Mehrkampf an internationalen Titelkämpfen für sich entschied, präsentiert sich offen. Die Japanerin Mai Murakami gewann die Qualifikation mit einem Tausendstel vor Ragan Smith aus den USA. Pech bekundete die als Mitfavoritin gehandelte Rumänin Larisa Iordache. Die WM-Dritte von 2015 zog sich zum Auftakt des Wettkampfs am Boden beim Aufwärmen einen Achillessehnenriss zu.
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