Weil er ausserhalb der erlaubten Zone eine Trinkflasche weggeworfen hatte, wurde Michael Schär an der Flandern-Rundfahrt disqualifiziert. Jetzt äussert er sich dazu – und erklärt das Ganze mit seiner «Liebe zum Sport».
Michael Schär wusste wohl sofort, was ihm droht, als er am Sonntag bei der Flandern-Rundfahrt seine Trinkflasche einer Gruppe von Zuschauern am Strassenrand vor die Füsse warf. Der Schweizer verwarf die Hände, rief aus. Für einen kurzen Augenblick schien er vergessen zu haben, dass der Radsport-Weltverband UCI seit dem 1. April eine solche Aktion mit der sofortigen Disqualifikation sanktioniert.
So wurde Schär nur wenige Kilometer nach dem Fauxpas mitgeteilt, dass er aus dem Rennen genommen wird. Damit ist der 34-Jährige aus dem AG2R-Citröen-Team der allererste Fahrer, der aufgrund des neuen UCI-Regelwerks aus einem Rennen der World Tour ausgeschlossen wurde.
Am Ostermontag äussert sich Schär in den sozialen Medien zu seiner Disqualifikation und erklärt auch den Flaschenwurf. «Liebe UCI, weshalb Kinder mit Radfahren beginnen», beginnt er auf Instagram seinen Text zu einem Foto mit einem kleinen Jungen im Fahrradtrikot.
Schär erzählt von einem Erlebnis aus seiner Kindheit. 1997 hatte er mit seiner Familie die Tour de France besucht – ein Erlebnis, das ihn geprägt hatte. «Ich war unendlich beeindruckt von der Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit der diese Radfahrer fahren konnten. Ich wollte nichts mehr in meinem Leben, als selbst Profi zu werden.»
Von einem Fahrer erhielt er dann sogar noch eine Trinkflasche. «Dieses kleine Plastikstück machte meine Fahrradsucht komplett. Zu Hause erinnerte mich diese Flasche jeden Tag daran, was mein Traum war. Ich fuhr jeden Tag voller Stolz mit meiner gelben Flasche vom Team Polti», erinnert sich Schär zurück.
Heute sei er selbst einer dieser Profis, die an all den vielen glücklichen Zuschauern vorbeifahren dürfen. «In ruhigen Momenten des Rennens behalte ich immer meine leere Flasche, bis ich Kinder neben der Strasse sehe. Dann werfe ich sie vorsichtig genau dort hin, wo sie sie sicher fangen können», erklärt Schär, der das Beispiel von einem kleinen Mädchen nennt, dem er vor zwei Jahren seine Flasche gab. Noch heute würde sich das Mädchen über das besondere Geschenk freuen. «Und vielleicht wird sie eines Tages auch Radfahrerin.»
Grosse Unterstützung aus der Szene – UCI wehrt sich
Dies seien die Momente, in denen er seinen Sport liebe. «Niemand kann uns das jemals nehmen. Wir sind der zugänglichste Sport und können den Zuschauern etwas mitgeben. So einfach ist das», schreibt Schär. Unterstützung erhält er unter anderem von Landsmann Stefan Küng, der seinem Unmut über die neue Regel ebenfalls Luft macht. «Wir sollten alle unsere Flaschen Kindern am Strassenrand zuwerfen. Mal sehen, was die UCI dann macht», kommentiert Küng den Instagram-Post.
Auch Schärs Captain Greg van Avermaet pflichtet bei und versieht den Beitrag mit applaudierenden Emojis. Jasper Stuyven, Sieger von Mailand – Sanremo, und Richie Port (gewann 2018 die Tour de Suisse) schrieben «well said» in die Kommentarspalte. Der zweifache Zeitfahr-Weltmeister Rohan Dennis bezeichnet die neue UCI-Regel als «riesigen Witz». Und der vierfache Tour-de-France-Sieger Chris Froome fragt sich: «Was wird nur aus unserem Sport?»
Die UCI hingegen wehrt sich wie folgt. «Die Regel, dass das Wegwerfen von Flaschen und Müll verboten ist, trat am 1. April in Kraft. Sie wurde in Absprache mit Vertretern der verschiedenen Teams ausgearbeitet und dann einstimmig angenommen», teilt der Verband gegenüber «20 Minuten» mit. «Wir sind fest davon überzeugt, dass diese Regel, die in einigen Fällen eine Änderung der Einstellung erfordert, dazu beitragen wird, den Radsport zum Sport des 21. Jahrhunderts zu machen.»
Gammenthaler: «Schär verdient Komplimente»
Henri Gammenthaler
Henri Gammenthaler analysiert das Radsport-Geschehen für «blue Sport». Der Zürcher war einst selbst Fahrer, später TV- und Radio-Experte und Kommentator der Tour de Suisse.
«Schär ist ein ganz seriöser Fahrer, er fährt schon viele Jahre und hat viele Erfahrungen. Genau wie den nötigen Respekt», sagt Henri Gammenthaler gegenüber «blue Sport» auf den Zwischenfall angesprochen. «Er hat eigentlich etwas ganz Tolles gemacht. Er dachte an seine Kindheit zurück und wollte dem kleinen Zuschauer eine Freude machen. Er liess sein Herz sprechen, fuhr an den Rand und rollte ihm den Bidon zu», schildert der Rad-Experte und macht darauf aufmerksam, dass der Nachwuchs genau so für diesen Sport begeistert werden könne.
«Werbetechnisch ist so etwas (Schärs Aktion) das Beste, was dem Radsport passieren kann», glaubt Gammenthaler und betont, dass er in der erwähnten Szene absolut kein Fehlverhalten des Schweizers erkennt. «Er hat die Flasche nicht sinnlos rausgeworfen. Er hat sich etwas überlegt dabei. Dafür verdient er ein Kompliment.»
Gammenthaler sieht die Littering-Regel nicht grundsätzlich falsch, aber es sei jetzt entscheidend, diese dementsprechend anzupassen: «Wichtig ist, dass die Fahrer den Bidon nicht unkontrolliert aus dem Feld werfen. Viele kamen deswegen bereits zum Sturz. Die geltende Regel ist das Endergebnis davon – aber das muss man noch einmal überdenken. Denn schlussendlich ist es eine edle Tat von Schär, für die er aber bestraft wird.»