Der Skispringer Gregor Deschwanden macht in dieser Saison einen grossen Schritt nach vorne. Dank einem neuen Cheftrainer und weil es ihm nun gelingt, sich zu überwinden.
Mit dem Essen kommt der Appetit. 232 Mal musste Gregor Deschwanden im Weltcup starten, ehe es am vorletzten Sonntag in Klingenthal mit dem ersten Podestplatz klappte – im Alter von 32 Jahren. In Engelberg – nur wenige Kilometer von seiner Heimat Horw entfernt – wollte der Luzerner am Sonntag nachdoppeln. Von Platz 6 nach dem ersten Durchgang strebte er wieder nach vorne. «Ich habe versucht, noch etwas mehr zu attackieren», stellte er nach dem Wettkampf fest. «Das war vielleicht ein Schritt zu viel.»
Dennoch gab er sich mit den Plätzen 8 und 6 auf einer Schanze, wo er zuvor nie besser als 18. (vor zehn Jahren) gewesen war, «sehr zufrieden». Deschwanden, der in der Vergangenheit immer im Schatten von Simon Ammann oder Killian Peier stand, brauchte lange, um sich zum Podestspringer zu mausern.
Aus der Komfortzone heraus
Das Puzzleteilchen, das vielleicht noch fehlte, rückte in der Person des neuen Cheftrainers Rune Velta ins Bild. Die Philosophie des ehemaligen norwegischen Spitzenspringers passt gut zu Deschwanden und merzte sein grösstes Problem aus. Bereits zuvor sah sich Deschwanden aber auf gutem Weg. «Ich habe schon letztes Jahr gemerkt: Da stimmt etwas», erzählt der Zentralschweizer. «Der wichtigste Schritt war, mich zu überwinden.»
Überwindung braucht Deschwanden, um am Schanzentisch früher abzuspringen. «Etwas zu spät dran zu sein, ist meine Wohlfühlzone, zu früh abzuspringen, war für mich immer schwierig.» Der Olympiasieger und Skiflug-Weltmeister Marius Lindvik sieht er als Vorbild – und da kommt dessen Landsmann Velta ins Spiel. «Er ist sehr analytisch», lobt Deschwanden. «Er bringt die Korrekturen gut rüber, und was er sagt, stimmt gut mit meinen Gefühlen überein.» Er streicht aber auch die wichtige Rolle des langjährigen Co-Trainers Martin Künzle heraus, der ihn «natürlich noch besser kennt» als Velta.
Der Norweger aus dem Grossraum Oslo, der nur zwei Jahre älter ist als Deschwanden, schmunzelt über die Komplimente. «Ich mache einen guten Job?», fragt er. «Vielleicht.» Überrascht sei er über die Resultate nur bedingt, man habe im Sommer sehr gut gearbeitet. Und Deschwanden habe auf jeden Fall das Potenzial, regelmässig das Podest angreifen zu können.
Jedes Mal wieder bei Null anfangen
Klar ist, dass im Schweizer Skisprungteam ein frischer Wind weht, auch bei Killian Peier, dem WM-Dritten von 2019, geht es in kleinen Schritten wieder aufwärts. Ein Selbstläufer sind die erfreulichen Resultate aber nicht. «Es ist natürlich immer cool, wenn man mit einem solchen Riesenerfolgserlebnis hierhin kommt», sagte Deschwanden in Engelberg. «Aber ich musste auch hier wieder bei Null anfangen, musste wieder kämpfen.»
Das werde auch nach der kurzen Weihnachtspause bei der Vierschanzentournee so sein. Die Schweizer nutzen die präparierte Titlis-Schanze noch für ein paar Tage Training in der Heimat, ehe es am Donnerstag, 28. Dezember, in Oberstdorf weitergeht. «Der erste Tag mit Training und Qualifikation ist sehr wichtig», betont Deschwanden. «Es beginnt auch da wieder bei Null. Wenn es gut läuft, kommt auch gleich wieder das Selbstvertrauen.»
Ohne Wohlstandsranzen
Daran fehlt es aber im Moment grundsätzlich nicht. Er kenne jetzt sein Leistungsniveau, das seien die Top 10. «Vielleicht gelingt es mir, wieder einen Lauf anzureissen», hofft Deschwanden.
Der Appetit kommt – wie gesagt – mit dem Essen. Wobei er dabei etwas vorsichtig sein will. Der Zentralschweizer verbringt die Weihnachtstage erstmals bei der Familie seiner Freundin in Polen. «Ich hoffe, dass ich nach Weihnachten nicht mit einem Wohlstandsranzen zurückkomme», meinte Deschwanden lachend. «Die Form ist ja auf jeden Fall da.»