Bedrohtes Weltkulturerbe Die Geschichte der Videospiele droht zu verschwinden

Von Dirk Jacquemien

15.7.2023

Nintendo bietet viele klassische Videospiele noch selbst an. Doch die grosse Mehrheit der Videospiele droht zu verschwinden.
Nintendo bietet viele klassische Videospiele noch selbst an. Doch die grosse Mehrheit der Videospiele droht zu verschwinden.
Bild: Imago

Videospiele sind inzwischen ein Kulturgut. Doch nun droht ihre Geschichte in Vergessenheit zu geraten

Von Dirk Jacquemien

15.7.2023

Videospiele sind aus der modernen Kultur nicht mehr wegzudenken. Nicht nur junge Menschen verbringen mit ihnen öfters mehr Zeit als mit Büchern oder Filmen. Der Einfluss von Videospielen beschränkt sich dabei nicht auf ihr ursprüngliches Medium. Der bisher erfolgreichste Film in 2023 ist mit «The Super Mario Bros. Movie» eine Videospielverfilmung.

Und obwohl Videospiele immer noch als etwas Neuartiges wahrgenommen werden, haben sie inzwischen eine beträchtliche Geschichte hinter sich. Doch diese droht nun in Vergessenheit zu geraten, wie eine Studie der Video Game History Foundation und des Software Preservation Network enthüllt.

Retro-Games sind (teilweise) ein grosses Geschäft

Hierbei wurden 1500 vor 2010 veröffentliche Videospiele untersucht. Nur noch 13 Prozent davon waren noch kommerziell verfügbar, der Rest lässt sich nur noch mit Glück gebraucht in Privatsammlungen oder als illegaler Download auf diversen Plattformen finden. 87 Prozent der Videospiele drohen somit für zukünftige Generationen verloren zu gehen.

Dabei gibt es eigentlich ein grosses, auch kommerzielles Interesse an alten Videospielen. So wurde etwa eine noch in Originalverpackung befindliche Kopie von «Super Mario Bros» aus dem Jahre 1985 für zwei Millionen Dollar verkauft. Regelmässig gibt es Neuauflagen von beliebten Titeln.

Breite Masse an Videospielen versinkt

Doch der breiten Masse an Videospielen, bei der eine Neuauflage unwirtschaftlich wäre, hilft dies nicht. Sie für die Nachwelt zu erhalten, ist um einiges schwieriger, als dies beispielsweise für Bücher der Fall ist.

Da ist natürlich der technische Aspekt. Um ein Videospiel in seiner ursprünglichen Form zu spielen, ist die entsprechende Konsole oder ein zeitgenössisch veröffentlichter Computer nötig.

Emulatoren, die eine Konsole oder einen alten PC auf modernen Geräten nachempfinden können, gibt es zwar zuhauf, sie legal zu nutzen, ist aber meist unmöglich. So bieten viele mit einfacher Google-Suche zu findende Plattformen digitale Kopien von Retro-Spielen zum kostenlosen Download an, in fast allen Fällen begeht man hier aber eine Urheberrechtsverletzung.

Bibliotheken sollen sich Videospielen annehmen

«Wo kein Kläger, da kein Richter» trifft allerdings auch hier zu, sodass die Verbreitung von Videospielen, die von ihren Urheber*innen nicht mehr selbst vertrieben werden, in der Regel toleriert wird. Dennoch ist es natürlich ein unbefriedigender Zustand, dass so grosse Teile der Videospiel-Geschichte nur auf genau genommen illegalen Wege zugänglich sind.

Die Studie schlägt daher vor, dass Bibliotheken stärker eingebunden werden müssen. In vielen Ländern ist es etwa gesetzlich vorgeschrieben, dass Buchverlage ein Exemplar jedes neu veröffentlichen Titels der jeweiligen Nationalbibliothek zur Verfügung stellen. In der Schweiz erfolgt das durch eine freiwillige Vereinbarung zwischen der Buchindustrie und der Nationalbibliothek.

Videospiel-Industrie sträubt sich

Um Videospiele angemessen zu archivieren, ist allerdings noch verstärkte Kooperation der Industrie nötig. Denn es ist in der Regel notwendig, Videospiele von ihrem ursprünglichen Speichermedium zu kopieren, um sie auf modernen Computern zum Laufen zu bringen.

Die Videospiel-Industrie in den USA lobbyiert aber beispielsweise dagegen, eine Umgehung des Kopierschutzes, den inzwischen quasi alle Videospiele haben, für Archivierungszwecke gesetzlich zu erlauben.