Oscar-Gewinnerin Jessica Chastain «Sie hatte eine goldene Toilette – wie Donald Trump»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

27.3.2022

Die Schauspielerin Jessica Chastain kämpfte zehn Jahre für die Verfilmung von «The Eyes of Tammy Faye». Die Rolle der TV-Predigerin Tammy Faye Bakker brachte ihr einen Oscar ein. Was sie dabei über sich selber lernte, erzählt die Schauspielerin bei unserem Besuch am Set.

Von Marlène von Arx, Los Angeles

27.3.2022

In den neunziger Jahren galten sie als Witzfigur und als Freiwild für die Klatschpresse, jetzt werden sie mit Prestige-Projekten aus Hollywood rehabilitiert: Nach Monika Lewinsky («Impeachment») und Pamela Anderson («Pam & Tommy») setzt sich der Trend der Wahrnehmungskorrektur mit dem Spielfilm über die TV-Predigerin Tammy Faye Bakker in «The Eyes of Tammy Faye» fort.

Zur Erinnerung: Jim und Tammy Faye Bakker waren in den 70er und 80er Jahren mit ihrem christlichen Fernsehnetzwerk PTL Club die erfolgreichsten Televangelisten in den USA. Nachdem Jim wegen Finanz- und Sexskandalen in die Schlagzeilen geraten war, wurde Tammy Faye ein gefundenes Fressen für Late-Night-Hosts und Satireshows.

Jetzt gewährt Jessica Chastain einen Einblick hinter Tammy Fayes dick aufgetragenes Make-up in «The Eyes of Tammy Faye». «Ich habe für das Interview ein bisschen Mascara und Lidschatten aufgetragen, aber warten Sie, bis Sie mich später sehen», sagt Jessica Chastain lachend auf dem Filmset in Charlotte, North Carolina. Es ist Dezember 2019 und die Schauspielerin ist fröhlicher Stimmung: «Seit ‹The Help› war ich nie mehr so spielerisch und albern drauf wie bei diesen Dreharbeiten!»

Die Ikone der LGBTQ-Community

Jessica Chastain sicherte sich vor zehn Jahren für 5000 Dollar die Rechte am Dokumentarfilm «The Eyes of Tammy Faye». Der Dok zeigte die Frau hinter dem Mythos und berührte sie: «Ich dachte, wieso hat diese grossartige Rolle noch niemand gespielt? Tammy Faye war nicht nur der Clown, als der sie in der Satire-Show ‹Saturday Night Live› dargestellt wurde. Sie stand am Anfang von Reality-TV, machte schräges Zeugs in ihrer Sendung, aber sie war auch die erste christliche Fundamentalistin, die einen HIV-positiven, homosexuellen Mann interviewte und sagte, dass man als Christ alle Menschen lieben müsse. Und das zu einer Zeit, in der Präsident Ronald Reagan das Wort ‹Aids› nicht einmal aussprach.»

Mit ihrem offenen Herzen – und ihrer übertriebenen Aufmachung – wurde Tammy Faye Bakker so zur Ikone der LGBTQ-Community. Und Jessica Chastain zur Oscar-Favoritin 2022.

Die Spielfilm-Version von «The Eyes of Tammy Faye» zeigt, wie Tammy Faye und Jim, gespielt von Andrew Garfield, mit ihrem Glauben die Welt verändern wollten, mit dem PTL Club frühe Motivations-Coaches wurden und wie sie sich mit ihrer Wohlstandsdoktrin persönlich bereicherten. «Sie glaubten, je mehr Geld sie scheffelten, desto mehr sei das ein Zeichen, dass Gott sie liebt», erklärt Chastain. «Sie hatten eine goldene Toilette – wie Donald Trump – ich glaube, das Pendel schlägt in der Welt wieder in diese eigennützige Richtung.»

Jim Bakker veruntreute Millionen an Spendengeldern, wurde der Vergewaltigung bezichtigt und verbrachte schliesslich fünf Jahre im Gefängnis. 1992 liessen sich die Bakkers scheiden. Tammy Faye heiratete darauf einen Immobilienmakler, trat in der Realityshow «The Surreal Life» mit Vanilla Ice und Porno-Star Ron Jeremy auf und verstarb 2007 an Krebs.

Jim Bakker predigte später wieder in kleinem Rahmen, verbreitete Weltuntergangs-Theorien und Covid-Heilmittel, was ihn wieder mit dem Gesetz in Konflikt brachte. «Tammy Faye wurde auch für die Fehler ihres Mannes bestraft», ist Jessica Chastain überzeugt.

«Jeder Mensch hat natürlich seine Makel und die lasse ich auch hier in die Figur einfliessen. Aber ich hatte viele falsche Vorstellungen und habe gelernt, wie schnell wir Menschen verurteilen, die anders sind als wir.» Mit Jim Bakker nahm sie keinen Kontakt auf, aber mit den Kindern Tammy Sue und Jay. «Ich kann ihnen texten, wenn ich eine Frage habe und bekomme sogleich Antwort.»

Kontakt mit den Kindern

Auf der Soundstage ist das hellblaue PTL-Studio aufgebaut, in dem Tammy Faye mit voller Kraft religiöse Popsongs, die so illustre Titel wie «Disco Jesus» trugen, in die Kamera schmetterte.

Vom tatsächlichen PTL Club ist in Charlotte nicht mehr viel übrig, aber die auch als Produzentin mitverantwortliche Schauspielerin hatte auch einen weiteren Grund, statt wie vorgesehen in Atlanta, Georgia, hier zu drehen: In Georgia, wo Hollywood in den letzten Jahren intensiv in die Infrastruktur für Filmproduktionen investiert hat, wird nämlich das Abtreibungsgesetz verschärft: «Ich wollte keinen Film an einem Ort drehen, an dem die Frauen an unserem Set nicht die Freiheit haben, über ihren Körper zu bestimmen», so die 45-Jährige.

Die Veganerin sorgte zudem dafür, dass unter ihren Kostümen keine echten Pelze waren, obwohl Tammy Faye eine grosse Schwäche dafür hatte.

Die Pause ist um. Jessica Chastain muss in die Maske. Sechs Stunden wird die komplette Verwandlung in Tammy Faye dauern: «Ich musste mir Stützstrümpfe organisieren, damit ich beim Rumsitzen keinen Blutstau bekomme», sagt sie wie Tammy Faye laut lachend und verschwindet Richtung Garderobe.

«The Eyes of Tammy Faye» läuft ab sofort bei Disney+.