Sanktionen gegen Russland Moskau macht Milliarden – deshalb läuft der Ölpreisdeckel ins Leere

tchs

12.9.2023

Kreml-Chef Wladimir Putin sollte durch den Ölpreisdeckel eingebremst werden.
Kreml-Chef Wladimir Putin sollte durch den Ölpreisdeckel eingebremst werden.
Bild: Keystone/Sputnik Kremlin Pool via AP/Mikhail Klimentyev

In der Theorie war der Ölpreisdeckel eine sinnvolle Massnahme, um der russischen Wirtschaft zu schaden. Doch warum macht Putins Russland trotz der Sanktionen dennoch so viel Geld mit Rohöl?

tchs

12.9.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Preise für die russische Ölsorte Urals steigen aktuell an.
  • Dieser Preisanstieg bedeutet für Moskau Mehreinnahmen im Wert von 37 Milliarden Dollar.
  • Der Ölpreisdeckel der G7 funktioniert offenbar nicht wie gewünscht.
  • Dies liegt auch an den eigenen, kaum vorhandenen Kontrollen.

Unterstützer der Ukraine beobachteten im Sommer wohlwollend den Kursverfall des russischen Rubels und sehnten einen Wirtschaftscrash in Moskau herbei. Allerdings gab es in den vergangenen Monaten auch eine medial weniger beachtete Kurve, die Kiew und den westlichen Verbündeten überhaupt nicht gefallen dürfte: die Preisentwicklung für Rohöl, genauer für die russische Ölsorte Urals.

Diese wurde, wie das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» berichtet, im Juni auf den Weltmärkten noch zwischen 54 und 56 Dollar (etwa 48 bis 50 Franken) pro Barrel (159 Liter) gehandelt. Doch inzwischen ist das Barrel bis zu 74 Dollar (66 Franken) wert. Diese 20 Dollar mehr pro Fass haben einen gewaltigen Einfluss, der erst auf das Jahr gerechnet greifbar wird: Der Preisanstieg bringt Moskau etwa 33 Milliarden Franken Mehreinnahmen. Nach Angaben des «Spiegels» entspricht dies knapp einem Viertel der gesamten ukrainischen Wirtschaftsleistung.

74 Dollar pro Fass: Ginge es nach dem Willen der G7, wäre dieser Preis überhaupt nicht möglich. Denn die führenden Industrienationen, westlich dominiert, beschlossen im vergangenen Winter, den Verkaufspreis russischen Rohöls zu begrenzen. Der Plan war, dass westliche Reedereien Russlands Öl nur zu einem gehandelten Preis von 60 Dollar oder weniger überhaupt transportieren. Die gleiche Bedingung sollte für westliche Versicherungen gelten, um die Ladung abzusichern.

Zunächst schien der Plan aufzugehen

Hinter dem in der Theorie zweifellos cleveren Manöver steckte unter anderem US-Finanzministerin Janet Yellen. Der Preisdeckel sollte Russlands Einnahmen aus Ölverkäufen begrenzen, ohne dass die Weltmarkt-Preise ausser Kontrolle geraten.

Zunächst schien dieser Plan auch aufzugehen: So sanken die Verkaufspreise für über die Ostsee sowie das Schwarze Meer verschiffte Öllieferungen Russlands. Moskau war gar gezwungen, regelrechte Spottpreise für diese Routen aufzurufen. Käufer in Indien oder anderen asiatischen Staaten zahlten 40 bis 45 Dollar pro Fass. Fehlende Steuereinnahmen machten sich in Russland sogar so stark bemerkbar, dass der Kreml Haushaltslöcher stopfen musste.

Doch in den Exporthäfen in Primorsk in der Ostsee und Noworossijsk am Schwarzen Meer liegen die Preise inzwischen bei deutlich über 60 Dollar pro Fass. So zumindest die Beobachtungen des Ökonomen Benjamin Hilgenstock, der am KSE Institute der Kyiv School of Economics tätig ist. Als Mitglied der International Working Group on Russian Sanctions hat er gemeinsam mit weiteren Forscherinnen und Forschern Russlands Rohöl-Exporte im Auge.

Korrelation ungleich Kausalität

Wie Hilgenstock dem «Spiegel» mitteilte, sei das grosse Problem, dass westliche Regierungen «Korrelation für Kausalität» gehalten hätten. So seien die russischen Exportpreise nach dem Beschluss des Preisdeckels zwar gesunken, allerdings sei die Massnahme dafür bereits damals nicht der Grund gewesen.

Denn fast zeitgleich wurde in Europa ein zweites Werkzeug beschlossen, um russische Öleinnahmen zu verknappen: ein weitgehender Importstopp für russisches Öl auf dem Seeweg. Der traditionell grösste Abnehmer für das Tankeröl aus Primorsk und Noworossijsk war damit plötzlich Geschichte. Stattdessen fuhren die russischen Schiffe bis nach Indien und bekamen von den neuen Abnehmern niedrige Preise aufgezwungen. «Mit dem Preisdeckel hatte das nichts zu tun», so Hilgenstock. Im Westen feierte man die Massnahme dennoch.

Russisches Rohöl wurde zwischenzeitlich von Ländern wie Indien sehr billig eingekauft.
Russisches Rohöl wurde zwischenzeitlich von Ländern wie Indien sehr billig eingekauft.
Bild: Keystone/AP

Dann beschloss Russland gemeinsam mit Saudi-Arabien gemeinsame Kürzungen ihrer Ölfördermengen. Auf diese Weise schossen die Preise am Weltmarkt wieder nach oben, das Scheitern des Ölpreisdeckels ist nicht mehr zu verschleiern.

Hilgenstock und seine Kolleginnen und Kollegen machten schon im Frühjahr auf das Problem aufmerksam. Bereits vor Monaten entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass vom Hafen Kosmino am Japanischen Meer weiterhin massenhaft russisches Öl für deutlich über 60 Dollar pro Barrel verschifft wurde. Brisantes Detail: Ungefähr die Hälfte der Schiffe, die den fernöstlichen Hafen anliefen, war entweder von westlichen Reedereien gechartert oder von westlichen Firmen versichert. Diese Tendenzen gebe es nun auch in Primorsk und Noworossijsk, wo der Anteil sogar noch höher lag.

Für Hilgenstock ist das allerdings «in der schlechten die gute Nachricht»: Der Preisdeckel-Mechanismus sei intakt, Russland benötigt für seine Ölexporte immer noch westliche Dienstleister.

Die G-7-Staaten setzen Deckel nicht konsequent um

Aber warum funktioniert der Ölpreisdeckel dann nicht so, wie er sollte? «So eine Sanktion funktioniert nur, wenn Regierungen den Firmen glaubwürdig demonstrieren, dass sie diese auch durchsetzen werden», erklärt Hilgenstock im «Spiegel»-Gespräch. Im Klartext: Die G-7-Staaten setzen die auferlegten Regeln selbst nicht rigoros durch.

In der EU ist es bislang für Reedereien und Versicherer lediglich nötig, eine sogenannte Attestation einzuholen. Eine solche Beglaubigung soll Ölhandelsfirmen bestätigen, dass der Ölpreisdeckel eingehalten wird. Ob und, wenn ja, wie Behörden in den G-7-Staaten das überprüfen, ist unbekannt.

Dabei wären strenge Kontrollen zielführend: Wie Hilgenstock und die anderen Forscherinnen und Forscher ausgerechnet haben, würde Russland 2024 nur noch 144 Milliarden Dollar aus Ölverkäufen generieren, wenn man einen Uralspreis von 77 Dollar pro Fass als Berechnungsbasis nimmt. Wird der Deckel durch die G-7-Staaten zusätzlich auf 50 Dollar abgesenkt, bleiben Russland nur noch 64 Milliarden Dollar an Erlösen. Bleibt man untätig, kann Russland kommendes Jahr rund 188 Milliarden Dollar mit Rohöl verdienen.