Flugabwehr und Panzer Wer der Ukraine bald schweres Kriegsgerät liefern könnte

Von Philipp Dahm

4.4.2022

Die Nato will unter Führung der USA nun auch offensive Waffen an die Ukraine transferieren. Die Lieferung von Schützenpanzern und Flugabwehr-Systemen ist bereits beschlossen. T-72 könnten folgen.

Von Philipp Dahm

4.4.2022

Wolodymyr Selenskyj kann seinen Ärger am 27. März kaum verhehlen. Sein Land braucht Waffen: Panzer, Artillerie und Jets. Die Raketen, die die Ukraine bisher bekommen hat, sind gut, um sich in Siedlungen zu verteidigen. Doch wenn die Armee zurückschlagen und vorstossen will, braucht sie gepanzerte Fahrzeuge und Luftunterstützung. 

Mit Blick auf das Hin und Her bei der potenziellen Lieferung von Mig-29-Jägern spricht Selensky von einem «Ping-Pong darüber, wer wie Jets liefern sollte». Sein Gefühlsleben kommt aber vor allem bei solchen Sätzen durch: «Ich habe heute mit den Verteidigern von Mariupol geredet. Hätten diejenigen, die seit 31 Tagen[, die der Krieg nun schon dauert,] darüber nachdenken, wie man mehr als ein Dutzend Jets liefern kann, doch nur ein Prozent ihres Mutes.»

Doch die Brandreden des 44-Jährigen stossen nicht auf taube Ohren: Wie die «New York Times» berichtet, will Washington jetzt die Rolle des Zwischenhändlers übernehmen. «Die USA wollen helfen, Panzer aus der Sowjet-Zeit in die Ukraine zu transferieren», titelt die Zeitung. Unter Berufung auf anonyme Quellen heisst es, die Lieferungen würden bald beginnen und der Ukraine erlauben, «Artillerie-Langstrecken-Angriffe auf russische Ziele im Donbas auszuführen».

Um welche und wie viele Panzer oder Artillerie es geht, ist nicht bekannt. Die «New York Times» spekuliert, dass der Krieg in der Ukraine somit in eine «neue Phase» eintritt. Doch woher soll das neue Material kommen? Ein Teil ist tatsächlich schon da: Die Ukraine hat laut dem niederländischen Fach-Blog Oryx mindestens 168 russische Panzer erbeutet, aber gleichzeitig auch 44 an den Feind verloren. Wer nun weiter Kiew über die USA beliefern könnte, liest du in der folgenden Übersicht.

USA

Das «Wall Street Journal» hat bereits im März bekannt gemacht, dass auch Washington Offensiv-Waffen in die Ukraine schicken will: Es geht um Flugabwehr-Systeme, die die USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion heimlich aufgekauft haben, um sie zu studieren und eigene Flugzeuge entsprechend zu verbessern, damit die solchen Systemen ausweichen können.

Es geht dabei um die Sa-8 Gecko, eine mobile Boden-Luft-Rakete mit 3,8 Kilometer Reichweite. Das Pentagon will den Bericht nicht kommentieren, doch bei der Vorstellung der letzten US-Militärhilfen verspricht Präsident Joe Biden, Washington wolle Kiew helfen, «zusätzliche Flugabwehr-Systeme mit längerer Reichweite zu beschaffen».

Ein undatiertes Bild einer rumänischen Sa-8 Gecko auf einem Übungsplatz. Das System wird auch von Nato-Staaten wie Polen, Bulgarien, Rumänien oder Griechenland benutzt, das die Bestände der früheren DDR gekauft hat.
Ein undatiertes Bild einer rumänischen Sa-8 Gecko auf einem Übungsplatz. Das System wird auch von Nato-Staaten wie Polen, Bulgarien, Rumänien oder Griechenland benutzt, das die Bestände der früheren DDR gekauft hat.
Bild: Commons/Mircea87

Polen

Das grösste Potenzial für Hilfe, die die ukrainische Armee umgehend nutzen kann, bieten nicht etwa die Mig-29-Jets, von denen Polen, Bulgarien und die Slowakei nur noch wenige Exemplare besitzen, sondern eingemottete Panzer aus der Sowjetzeit. Namentlich geht es um Varianten des T-72-Panzers.

Warschau verfügt insgesamt über 458 T-72 und T-72M1D, einer modernisierten Variante. Hinzu kommen 232 PT-91 Twardy. Der Kampfpanzer ist eine polnische Weiterentwicklung des T-72M1, der ein verbessertes, digitales Feuerleitsystem, Reaktivpanzerung und einen neuen Antrieb hat. Die Panzer sind entbehrlich, nachdem Polen 249 Leopard 2A4 und 2A5 in Deutschland gekauft und weitere 250 M1A2SEPv3 in den USA bestellt hat.

Ausgestellt: ein PT-91M SP2 im September 2007 in Polen.
Ausgestellt: ein PT-91M SP2 im September 2007 in Polen.
Bild: Konflikty.pl

Bulgarien

In Bulgarien stehen 80 bis 90 T-72M2 im aktiven Dienst. Zwischen 250 und 350 sollen noch in Reserve sein. Das Problem: Es gibt keinen Ersatz. Nur Polen hat bereits westliche Modelle gekauft, weshalb eine Spende oder ein Verkauf mit der Lieferung von Ersatz einhergehen müsste.

Update 5. April: Die USA haben gerade den Verkauf von F-16-Jets an Bulgarien genehmigt. Sofias Einkauf soll lat «Reuters» gut 1.6 Milliarden Dollar wert sein. Die Beschaffung hat angeblich nichts mit einer möglichen Weitergabe von Mig-29-Jets an die Ukraine zu tun, heisst es weiter.

Slowakei

Die Slowakei hat bei Panzern dasselbe Problem wie bei ihren Mig-29: Es gibt keinen Ersatz. Als die Mig-Lieferung diskutiert worden ist, war eine Substitution durch amerikanische F-16-Jets im Gespräch. Wenn Bratislava also seine 22 T-72M1 abgeben würde, ginge das nicht ohne ein Gegengeschäft.

Ein T-72M1 der slowakischen Streitkräfte.
Ein T-72M1 der slowakischen Streitkräfte.
Bild: Commons/HawkeyeSlovak

Tschechien

Tschechiens Hilfe ist schon beschlossene Sache: Die Bundesregierung in Berlin hat den Verkauf von 56 Schützenpanzern des Typs Pbv-501 bereits abgesegnet. Warum Deutschland da ein Mitspracherecht hat? Die Fahrzeuge stammen aus Beständen der DDR und basieren auf dem russischen BMP-1.

Die Schützenpanzer sind nach der Wende erst nach Schweden verkauft und dann modernisiert worden. Die neue Abkürzung steht für Pansarbandvagn. Stockholm wiederum hat sie einer tschechischen Firma überlassen, die sie nun an die Ukraine weitergibt. Deutschland lässt sich beim Verkauf von Waffen stets zusichern, dass die Bundesregierung über weitere Verwendungen ein Mitspracherecht hat.

Im Gewerbegebiet von Grimmen in Deutschland fährt ein Schützenpanzer sowjetischer Bauart über eine Panzerstrecke. Hier ist ein BMP-1 zu sehen: Deutschland hat den Export des darauf basierenden Pbv 501 an die Ukraine genehmigt.
Im Gewerbegebiet von Grimmen in Deutschland fährt ein Schützenpanzer sowjetischer Bauart über eine Panzerstrecke. Hier ist ein BMP-1 zu sehen: Deutschland hat den Export des darauf basierenden Pbv 501 an die Ukraine genehmigt.
Bild: Keystone

Ungarn

In Ungarns Armee fahren noch 34 T-72M1 und im, Arsenal sind rund 130 Exemplare eingemottet. Tatsächlich hat Budapest auch Ersatz in Aussicht: In Deutschland wurden 44 hochmoderne Leopard 2A7 bestellt. Doch dass Ungarn der Ukraine Waffen liefert, scheint unrealistisch.

Victor Orban, der gerade als Premier im Amt bestätigt wurde, hat bisher nicht nur den Transfer eigener Waffen abgelehnt, sondern sogar die Durchfahrt von Transporten aus anderen Ländern untersagt. 

Update 5. April: Washington hat angeblich auch Zypern gebeten, Waffen aus Sowjetzeiten an die Ukraine weiterzugeben. Es geht um Flugabwehr-Systeme vom Typ S-300 und Buk M-2, Panzer vom Typ T-80u, BMP-3-Schützenpanzer und Mi-35-Helikopter.