AKW gehen vom Netz Wie will Deutschland die Atomkraft ersetzen?

Von Christopher Schmitt

15.4.2023

Atom-Aus: Bleibt Stromversorgung sicher? Wird Strom teurer?

Atom-Aus: Bleibt Stromversorgung sicher? Wird Strom teurer?

Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland werden am Samstag abgeschaltet. Steht also die Stromversorgungssicherheit in Gefahr? «Nein», heisst es bei der Bundesnetzagentur.

14.04.2023

Deutschland verabschiedet sich von der Atomkraft: Die letzten drei Kernkraftwerke werden am Samstag abgeschaltet. Doch wie wollen die Deutschen den fehlenden Energieträger ausgleichen?

Von Christopher Schmitt

15.4.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am Samstag nimmt Deutschland die letzten noch verbliebenen Atomkraftwerke vom Netz.
  • Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht die Versorgungssicherheit trotzdem nicht gefährdet.
  • In der Industrie hegt man dagegen Zweifel, und auch die Bevölkerung steht weniger hinter der Entscheidung als noch vor zehn Jahren.

Ein zuverlässiger, aber umstrittener Energieversorger weniger: Am Samstag werden in Deutschland die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet, die AKWs Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 gehen vom Netz. Und das, obwohl in vielen Ländern ausserhalb Deutschlands Kernkraft eine Renaissance feiert: Im Januar waren weltweit 500 neue AKW im Bau.

Auch in der Schweiz wird immer wieder über einen möglichen Atomausstieg diskutiert, 2017 stimmten die Schweizer für ein Verbot neuer AKW. Hierzulande sind nach der Abschaltung des AKW Mühleberg noch drei Anlagen in Betrieb. Geht es nach der Meinung von Befürwortern der Atomkraft, soll das auch so bleiben. Sie stellen die Frage nach der Versorgungssicherheit und fordern teils sogar den Bau neuer Kraftwerke.

Erst im Februar machte die Initiative «Blackout stoppen» Schlagzeilen. Damals wurde bekannt, dass die Initiant*innen 10'000 Unterschriften käuflich erwarben, um eine Volksinitiative anzustossen. Das Ziel: Das Verbot von Atomkraftwerken in der Schweiz soll gekippt werden. Auch in politischen Kreisen wurden Rufe laut, das Bauverbot neuer AKW zu überdenken. Entsprechende Vorstösse der SVP und der FDP lehnte der Nationalrat im Februar aber ab. Energieminister Albert Rösti plädierte im Januar dafür, die Schweizer AKW nicht «unnötig früh» abzuschalten.

Angesichts dieser Debatte, die im Zuge des Kriegs in der Ukraine und potenziellen Energieengpässen an Relevanz gewann, dürfte man in der Schweiz nun interessiert ins Nachbarland blicken und dessen Umgang mit dem AKW-Ausstieg unter die Lupe nehmen. Wie will Deutschland dieses Problem lösen? Wie soll der Atomstrom ersetzt werden?

Wirtschaftsminister verspricht Versorgungssicherheit

Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck gibt sich alle Mühe, allfällige Bedenken auszuräumen. «Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland wurde in diesem schwierigen Winter gewährleistet und wird auch weiter gewährleistet sein», versicherte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Man habe die Lage im Griff.

Der Grünen-Politiker verweist etwa auf die hohen Füllstände in den Gasspeichern, spricht von neuen Flüssiggasterminals und vor allem den erneuerbaren Energien. Deren Anteil an der Energieversorgung soll in Deutschland dramatisch steigen. «Unser Energiesystem wird sich anders aufbauen: Wir werden bis 2030 zu 80 Prozent erneuerbare Energien haben», erklärte Wirtschaftsminister Habeck.

Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht die Energie-Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht die Energie-Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet.
Martin Schutt/dpa

Bei den Erneuerbaren ist also Tempo angesagt. Kurzfristig soll es auch eine intensivere Nutzung von Kohle- und Gaskraftwerken geben. Das bedeutet steigende CO2-Emissionen, wie Berechnungen des Ifo-Instituts zeigen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags kommen jedoch nach aufwändigen Berechnungen zu dem Schluss, dass ein Weiterbetrieb der AKW «nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation für das Klima führen dürfte». Denn der Einspareffekt ist nur gering, der Betrieb verschlingt jedoch viel Geld – Geld, das bei der Energiewende fehlen würde.

Überschaubarer Kernkraft-Anteil an Bruttostromerzeugung

Im Jahr 2022 produzierten die verbliebenen Atomkraftwerke noch knapp 35 Terawattstunden Strom. Das entspricht nach Angaben des deutschen Statistischen Bundesamts (Destatis) 6 Prozent der gesamten Bruttostromerzeugung des Landes. Wie Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, bei «ZDFheute» erklärte, waren es im Januar und Februar des aktuellen Jahres sogar nur noch 4 Prozent.

Der Anteil der Kernenergie an der deutschen Stromerzeugung war demnach zuletzt überschaubar. Wie gross war der Anteil der sonstigen Energieträger? Der Grossteil geht bereits auf das Konto erneuerbarer Energieträger: 44 Prozent. 22 Prozent entfielen auf Windkraft, 10,5 Prozent auf Photovoltaik und 7,7 Prozent auf Biomasse. Nach Destatis-Daten speiste sich der restliche Strom aus Braun- und Steinkohle (31 Prozent) sowie Gas (knapp 14 Prozent).

Bereits seit 2003 wird in Deutschland weniger Strom verbraucht, als erzeugt wird. «Entsprechend weist Deutschland seit dem Jahr 2003 beim Stromexport einen Überschuss auf», erklärt das deutsche Umweltbundesamt auf seiner Homepage.

Der Grund hierfür liegt darin, dass der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung stetig zunimmt, allerdings die konventionelle Stromerzeugung nicht im gleichen Masse abnimmt. Knapp 30 Terawattstunden Strom wurden aus Deutschland im Jahr 2022 ins europäische Ausland exportiert.

Was, wenn Wind- und Solarkraft nicht liefern?

Kurzfristige Engpässe sind demnach in der deutschen Stromversorgung nicht zu erwarten. Doch es bleibt das Risiko einer sogenannten Dunkelflaute: Was passiert, wenn weder Wind- noch Solarkraft genug Strom erzeugen können?

Die deutsche Industrie und Wirtschaft treibt jedenfalls die Sorge um, dass die Versorgungssicherheit gefährdet sein könnte. Vor Kurzem äusserte die Industrie und Handelskammer (DIHK) Kritik am Atomausstieg. Insbesondere die vergleichsweise hohen Strompreise könnten dem Industriestandort Deutschland im internationalen Wettbewerb zum Nachteil gereichen.

Isar 2 in Bayern gehört zu den letzten AKWs Deutschlands. Am Samstag wird das Kernkraftwerk abgeschaltet.
Isar 2 in Bayern gehört zu den letzten AKWs Deutschlands. Am Samstag wird das Kernkraftwerk abgeschaltet.
Bild: Keystone

«Trotz gesunkener Gaspreise bleiben die Energiekosten für die meisten Betriebe in Deutschland hoch», monierte Peter Adrian, Präsident der DIHK in der «Rheinischen Post». Zugleich sei man beim Thema Versorgungssicherheit «noch nicht über den Berg». Deshalb müsse man alles tun, das Angebot an Energie auszuweiten und es «keinesfalls weiter einzuschränken».

Ähnliche Stimmen sind aus den Reihen der Christdemokraten und der FDP zu hören. CDU-Chef Friedrich Merz sprach angesichts des AKW-Ausstiegs bei «NDRinfo» gar von einem «schwarzen Tag für Deutschland» und plädierte für eine Laufzeitverlängerung von AKW.

Mehrheit der Deutschen gegen den Atomausstieg

Und was denken eigentlich die Deutschen über den Atomausstieg? Im DeutschlandTrend des ARD-«Morgenmagazin» (Stand: 14. April) spricht sich die Mehrheit gegen den Abschied von der Kernkraft aus. Rund sechs von zehn Befragten (59 Prozent) bewerten die Entscheidung der deutschen Politik als falsch, nur 34 Prozent als richtig. Drei Monate nach der Katastrophe von Fukushima im Juni 2011 sprachen sich noch 54 Prozent der Befragten für einen Atomausstieg aus.

In den mittleren und älteren Jahrgängen überwiegt also die Ablehnung. Anders sieht es in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen aus. Unter den jüngeren Befragten finden 50 Prozent den Atomausstieg richtig, nur 39 Prozent halten ihn für falsch.

Beim Grossteil der Befragten sind die Bedenken gross, dass die Energiewende nicht nur klimafreundlicheren Strom, sondern auch einen Anstieg der Energiepreise bringt. Insgesamt zwei von drei Befragten gaben an, sehr grosse (26 Prozent) oder grosse Sorgen (40 Prozent) vor einer Verteuerung zu haben. Lediglich Anhänger der Grünen befürchten mehrheitlich keinen Anstieg der Energiepreise.

Eine endgültige Entscheidung?

Nach Ansicht Robert Habecks ist der Atomausstieg am Samstag eine endgültige Entscheidung. Früher oder später würden die Atomkraftwerke «in den Rückbau gehen», sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Der Grünen-Politiker stellte zudem klar: «Und ein Neubau von Atomkraftwerken hat sich immer als ökonomisches Fiasko dargestellt – ob in Frankreich, Grossbritannien oder Finnland.» Es gebe auch kein Interesse deutscher Betreiber, neue Atomkraftwerke zu bauen. 

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