Biden schwenkt um Kleine Schritte statt kühner Programme

Von Chris Megerian und Zeke Miller/dpa

17.4.2022 - 00:00

US-Präsident Joe Biden spricht im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine von «Völkermord».
US-Präsident Joe Biden spricht im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine von «Völkermord».
Carolyn Kaster/AP/dpa

Weniger als sieben Monate bis zur US-Kongresswahl – und die Sterne stehen nicht gut für Biden und seine Demokraten. Viele Menschen glauben, dass das Land auf einem falschen Kurs ist. Aber was tun?

17.4.2022 - 00:00

Seine grossen Programme liegen auf Eis, er kann sie nicht im Kongress durchbringen. Da muss sich US-Präsident Joe Biden etwas einfallen lassen, um zu zeigen,  dass er trotzdem Fortschritte für die eigene Bevölkerung erzielt. Der Druck ist umso grösser, da Umfragen zufolge viele Amerikaner glauben, dass ihr Land in eine falsche Richtung geführt wird. Hinzu kommt, dass seit Wochen Horrornachrichten aus dem Ukraine-Krieg die Schlagzeilen beherrschen. Das macht es nicht leichter, mit eigenen Botschaften zu den Menschen durchzudringen. Und dabei sind es nur noch weniger als sieben Monate bis zur nächsten Kongresswahl.

Inzwischen zeichnet sich ab, mit welcher Strategie Biden und sein Team punkten wollen. Sie setzen darauf, dass sie mit einzelnen kleineren Massnahmen oder Plänen besser bei den Wählern ankommen als mit Reden über bahnbrechende Programme, die bislang nichts anderes als ehrgeizige Ziele sind. Dabei konzentrieren sie sich darauf zu demonstrieren, dass Biden ihre alltäglichen Probleme in Angriff nimmt – allem voran die steigende Inflation im Land, verschärft durch die russische Ukraine-Invasion.

Obamacare, Post und Lastwagenfahrer

So hat die Regierung beispielsweise in der vergangenen Woche grosse Sattelschlepper draussen vor dem Weissen Haus auffahren lassen – als Kulisse für eine Rede des Präsidenten darüber, wie er mehr Lastwagenfahrer auf die Strassen bringen will, um Versorgungsengpässe zu schliessen. Einen Tag später war der frühere Präsident Barack Obama als Ehrengast dabei, als Biden im Weissen Haus eine Anordnung zur Nachbesserung der als Obamacare bekannten Gesundheitsreform aus dem Jahr 2010 unterzeichnete. Danach setzte Biden seine Unterschrift unter ein Gesetz, das die finanzielle Zukunft der US-Post sichern soll.

Diese Woche war er gleich zwei Mal unterwegs, um über bestimmte Schritte und Vorhaben zu sprechen. Am Dienstag verkündete er in Iowa, dass seine Regierung vorläufig mehr Ethanol-Zusätze im Benzin zulassen wird, was die Preise zumindest etwas senken soll. Allerdings ist diese Art Benzin nur an 2300 der insgesamt mehr als 100 000 Tankstellen im Land erhältlich. Am Donnerstag reiste Biden nach North Carolina, um dort über seine Pläne zur Stärkung der einheimischen Versorgungsketten zu sprechen.

Es sei wichtig, dass das Land seine Führungskraft in Sachen Wirtschaft sehe, sagte die Sprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, am Mittwoch. «Das ist eine hohe Priorität. Und sein Terminplan zeugt davon, wie sehr es eine Priorität ist».

«Alle Massnahmen, die Biden verkündet oder ankündigt, werden direkte Auswirkungen auf das Leben der Amerikaner haben. Aber sie bleiben weit hinter den Zielen zurück.»

Alle Massnahmen, die Biden verkündet oder ankündigt, werden direkte Auswirkungen auf das Leben der Amerikaner haben. Aber sie bleiben weit hinter den Zielen zurück, die er sich setzte, als er im Januar 2021 ins Weisse Haus einzog. Dass er wegen der Hindernisse im Kongress, insbesondere im Senat mit einer Sitzverteilung von je 50 für die Demokraten und die Republikaner – weitgehend auf Anordnungen zurückgreifen muss, engt seinen Handlungsspielraum sehr ein.

Ketanji Brown Jackson ist ein Erfolg

Es ist eine Dynamik, mit der auch Obama konfrontiert war, insbesondere in seiner zweiten Amtsperiode, als er seine Amtsbefugnisse nutzte, um so viel von seinen Plänen umzusetzen wie nur möglich. Die Demokraten müssten zeigen, dass sie Fortschritte erzielten, auch wenn sie nicht die umfassenden Gesetze zustande bekämen, die sie versprochen hätten, sagte Eric Shultz, einst stellvertretender Pressesprecher unter Obama. «Haben wir alles erreicht, was wir wollten? Nein», sagt er rückblickend auf die Obama-Zeit. «Aber haben wir jeden Tag die Ärmel hochgekrempelt und Dinge vorangetrieben? Ja.»

«Haben wir alles erreicht, was wir wollten? Nein.»

Es hat einige Erfolge für Biden gegeben, so die jüngste Bestätigung der von ihm für dem Supreme Court nominierten Ketanji Brown Jackson durch den Senat. Wenn sie ihr Amt im Sommer antritt, wird sie die erste schwarze Frau in diesem höchsten Richtergremium der USA sein. Und Biden hat im vergangenen Jahr ein grosses Infrastrukturprogramm im Kongress durchgebracht. Aber andere Vorhaben wie ein historische Reform von Sozialprogrammen sind auf Eis gelegt oder praktisch gescheitert. Eine Reform der Einwanderungsgesetze oder striktere Waffengesetze, beides Teile von Bidens Agenda, sind nicht einmal mehr wirklich im Gespräch.

Demokraten hätten Motivationsproblem

Das lässt Biden praktisch nur die Möglichkeit, die neue Richterin und das Infrastrukturprogramm als Errungenschaften hervorzuheben – und nach anderen kleineren Massnahmen, die erreichbar sind, Ausschau zu halten. 

Aber verspricht das Erfolg, der sich bei der Kongresswahl niederschlagen könnte? Adam Green, Mitbegründer des politischen Aktionskomitees Progressive Change Campaign Committee, meint, dass kleinere Initiativen nur dann helfen, wenn sie «den Grundstein zur Verabschiedung viel grössere Massnahmen bilden». Die Demokraten seien im Vorfeld der Wahl mit einem «Motivationsproblem» konfrontiert, gibt Green zu bedenken. «Mit einer Reihe einzelner Massnahmen werden sie keine Leute in die Wahllokale bringen.»

William Galston von der US-Denkfabrik Brookings Institution bescheinigt Biden, dass er versuche, das Beste aus einer schwierigen Situation zu machen. Galston erinnert sich an eine ähnliche Strategie der damaligen Regierung von Präsident Bill Clinton vor der Kongresswahl 1994. Mit seinen Plänen für eine Gesundheitsreform gescheitert, habe Clinton versucht, mit einzelnen weniger kontroversen Initiativen einen Punktsieg zu erreichen.

Diese Reihe von kleineren Erfolge «unter dem Radar» habe bei der Kongresswahl aber «absolut keinen Unterschied» gemacht, so Galston. Für Biden «wird das diesmal wahrscheinlich auch der Fall sein».    (dpa)

Von Chris Megerian und Zeke Miller/dpa