Guanziroli am GerichtBrutales Räuber-Trio: Angriff mit Schlagring und Schmetterlingsmesser
Von Silvana Guanziroli
18.9.2018
Bankangestellte, Tankwarte oder Verkäufer fürchten sich vor dieser Situation: Plötzlich taucht ein maskierter und bewaffneter Mann auf und fordert Geld. Coop-Filialleiter Paul Engel* ist es passiert.
Er wird die Geschehnisse an jenem Morgen wohl nicht vergessen können. Was zunächst wie jeder normale Arbeitstag begann, endete für Paul Engel mit einem brutalen Angriff.
20. Juli 2017: Der Filialleiter betrat seinen Laden im Zürcher Stadtteil Triemli kurz vor sechs Uhr morgens. Im Geschäft schaute er nach dem Rechten, räumte hie und da etwas beiseite, danach wollte er die Filiale für die Kunden öffnen. Etwa zur gleichen Zeit erschien auch seine Mitarbeiterin pünktlich zum Dienst.
Was die beiden nicht ahnen konnten: Nur wenige Meter entfernt hatten sich drei Männer auf die Lauer gelegt. In ihrem Lieferwagen warteten sie auf eine günstige Gelegenheit – ihr Ziel: das Geld im Tresor der Coop-Filiale.
Und die Gelegenheit ergab sich. Um 6.15 Uhr öffnete Engel das Warentor, um einen Palettrolli auf die Rampe zu stossen. Zwei der Männer sprangen aus dem Fahrzeug, stürmten auf ihr Opfer los. Sie waren maskiert und trugen Handschuhe – bloss keine Spuren hinterlassen. Und: Sie waren bewaffnet.
Ohne Vorwarnung sprühte einer der Männer Engel Pfefferspray ins Gesicht und schlug ihn mit einem Schlagring zweimal. Wie sich später herausstellte, brach er Engel dabei die linke Augenhöhle und verletzte den Augapfel schwer. Engel stürzte zu Boden, er schrie um Hilfe.
Die Mitarbeiterin im Laden eilte herbei und geriet ebenfalls in die Fänge der Räuber. Der zweite Mann zwang sie mit vorgehaltenem Schmetterlingsmesser den Tresor im Büro der Filiale zu öffnen und das Geld in einen Rucksack zu stecken. Nach nur wenigen Minuten war der Spuk vorbei. Die Männer flohen aus dem Laden, rannten zum Lieferwagen und rasten mit dem Komplizen am Steuer davon. Die Beute: 21'230.90 Franken.
Doch weit kamen die Täter nicht. Nur wenige Stunden später hatte sie die Stadtpolizei Zürich dingfest gemacht, die Handschellen klickten. Der Lieferwagen war Anwohnern aufgefallen – es war der entscheidende Hinweis, der zur Verhaftung führte.
Höchste Strafe für den Schlagring-Schläger
Heute müssen sich die drei Beschuldigten vor dem Zürcher Bezirksgericht für den brutalen Überfall verantworten. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat sie wegen Raub und Vergehen gegen das Waffengesetz angeklagt.
Bei den Männern handelt es sich um zwei in Zürich wohnhafte Schweizer (25 und 23) und einen Bosnier im Alter von 24 Jahren. Letzterer hat keinen festen Wohnsitz in der Schweiz, er befindet sich bereits im vorzeitigen Strafvollzug. So steht es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die «Bluewin» vorliegt. Der junge Mann soll nach der Entlassung direkt in sein Heimatland abgeschoben werden.
Für die Staatsanwaltschaft ist es erwiesen, dass die Männer den Raubüberfall geplant, abgesprochen und begangen haben. Sie fordert für den Schlagring-Schläger eine Freiheitsstrafe von 32 Monaten, für den Träger des Schmetterlingsmessers 24 und für den Fahrer noch 12 Monate.
Vier Raubüberfälle pro Tag in der Schweiz
Aus Sicht der Opfer sind das viel zu geringe Strafen. Und Betroffene wie Paul Engel gibt es in der Schweiz viele. Im letzten Jahr kam es hierzulande zu 1746 Raubüberfällen. Das zeigt die die polizeiliche Kriminalstatistik 2017. Konkret heisst das: Jeden Tag werden im Schnitt vier Raubüberfälle verübt.
Und in 90 Prozent der Fälle wird Gewalt angewendet. Mittels Schuss-, Stich- oder Hiebwaffen sowie durch Faustschläge oder Tritte.
Während die Räuber das schnelle Geld suchen, bedeutet ein solcher Übergriff für die Opfer häufig ein schweres Trauma, an dem sie noch Jahre zu leiden haben. Besonders exponiert sind hier Angestellte in Tankstellenshops. Sie arbeiten während den Randstunden oder in der Nacht ganz allein im Shop.
Die Schweizer Gewerkschaften sind schon länger alarmiert. Bereits 2015 forderte die Unia von den Tankstellenbetreibern, ihre Mitarbeiter während der Risikostunden immer nur zu zweit arbeiten zu lassen.
Doch die Unia-Forderung verhallte bisher praktisch ungehört. Die Tankstellenbetreiber setzen stattdessen auf Türschliessvorrichtungen, Videoaufzeichnungen oder die intensive Schulung des Personals. Einige Filialen seien, wie es von den Grossunternehmen heisst, für eine Doppelbelegung schlicht zu klein.
Das rät die Polizei
Für den Fall, dass man sich plötzlich in der Situation von Paul Engel wiederfindet, empfiehlt Florian Frei, Sprecher der Kantonspolizei Zürich, dieses Verhalten:
Während des Überfalls
Ruhe bewahren, nicht in Panik verfallen
Bei einem bewaffneten Täter immer davon ausgehen, dass die Waffe echt ist
Trotz langem Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren fehlt bis heute im beschriebenen Fall ein Teil der Beute. Gemäss Anklageschrift konnten nur 16'986.80 Franken bei den Beschuldigten sichergestellt werden. Der Betrag wird nach Abschluss des Gerichtsverfahren dem Detailhändler Coop zurückgegeben.
Wo die restlichen rund 5000 Franken abgeblieben sind, werden die Männer vielleicht heute vor dem Richter preisgeben. Oder eher – mit Blick auf ihre Entlassung – einfach für sich behalten.
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