Tödlicher als Corona So gefährlich ist das Nipah-Virus

twei

17.9.2023

In Kerala hat man Erfahrung mit dem Nipah-Virus: Schon 2019 brach die Krankheit dort aus.
In Kerala hat man Erfahrung mit dem Nipah-Virus: Schon 2019 brach die Krankheit dort aus.
Bild: EPA / Prakash Elamakkara

Lockdown in Indien: Nach zwei Todesfällen aufgrund des Nipah-Virus haben Behörden ein Versammlungsverbot beschlossen und eine Massenisolation angeordnet. Droht der Welt Corona 2.0? «blue News» ordnet ein.

twei

17.9.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nach zwei Todesfällen infolge einer Infektion mit dem Nipah-Virus steht das öffentliche Leben in der indischen Region Kerala still.
  • Die Krankheit wird von Tieren auf den Menschen übertragen und weist eine höhere Sterblichkeitsrate als das Coronavirus auf. Eine Impfung oder eine wirksame Behandlung gibt es nicht.
  • Das Risiko, dass der Ausbruch in Indien eine Pandemie nach sich zieht, sehen Experten dennoch nicht hoch an.

Schulschliessungen, ein Versammlungsverbot und Strassensperrungen: Blickt man aktuell nach Indien, kommen unwillkürlich Erinnerungen an die Corona-Pandemie hoch. Weil in der Region Kerala das Nipah-Virus ausgebrochen ist und bereits zwei Todesopfer gefordert hat, sind die indischen Behörden alarmiert.

Etwa 700 Menschen wurden im Rahmen von Vorsichtsmassnahmen bereits isoliert, das öffentliche Leben in den betroffenen Regionen steht weitgehend still. Auch im Rest der Welt beobachtet man die Lage in Indien mit gewisser Sorge. »Ausbrüche wie in Indien werden genau verfolgt«, bestätigte das Friedrich-Loeffler-Institut auf Anfrage des «Spiegel».

Doch was zeichnet das Nipah-Virus eigentlich aus? Woher kommt es? Gibt es einen Impfstoff? Und droht der Welt eine erneute Pandemie? «blue News» beantwortet die wichtigsten Fragen zum Nipah-Ausbruch.

Was ist das Nipah-Virus?

Der erste Nipah-Ausbruch wurde 1998 verzeichnet: Damals hatte sich das Virus unter Schweinezüchtern in Malaysia verbreitet. Das Dorf, in dem das Virus damals entdeckt wurde, ist auch sein Namensgeber.

Obwohl Nipah-Ausbrüche selten sind, führt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Virus als gefährlichen Krankheitserreger, der ebenso wie etwa das Ebola- oder Zika-Virus oder auch Covid-19 als Auslöser grosser Epidemien oder Pandemien in Frage kommen könnte – und deshalb vorrangig erforscht werden sollte.

Nipah wird in der Regel von Tieren oder durch kontaminierte Lebensmittel auf den Menschen übertragen, kann aber auch direkt von Mensch zu Mensch weitergegeben werden. Flughunde sind die natürlichen Überträger des Virus. Sie gelten als die wahrscheinlichste Ursache von späteren Ausbrüchen. Auch Schweine und Fledermäuse kommen als Überträger infrage.

Medizinisches Personal entnimmt einer Ziege Blutproben, um sie auf das Nipah-Virus zu testen.
Medizinisches Personal entnimmt einer Ziege Blutproben, um sie auf das Nipah-Virus zu testen.
BIld: Shijith. K/AP/dpa

Wie gefährlich sind solche Ausbrüche für den Menschen?

Wie schon bei Covid-19 kann das Nipah-Virus von Tieren auf den Menschen übertragen werden. Und die zwei bis dato registrierten Todesfälle in Indien zeigen, welche gravierende Folgen eine Infektion nach sich ziehen kann.

Das bestätigt auch der Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr gegenüber «Bild»: «Eine Infektion mit dem Nipah-Virus kann beim Menschen schwerste Symptome auslösen und bis zur Hälfte der Fälle auch tödlich sein.» Die Sterblichkeitsrate liegt laut WHO bei 40 bis 75 Prozent – höher als beim Coronavirus.

Ungewöhnlich ist zudem die Inkubationszeit, die bis zu 45 Tage betragen kann. «Das heisst also, jemand kann erst nach sechs Wochen Symptome bekommen, nachdem er Kontakt mit einem Nipah-Infizierten hatte», schilderte Lungenfacharzt Vivek Nangia der «Tagesschau».

Welche Symptome kennzeichnen das Nipah-Virus?

Zu den Symptomen des Nipah-Virus zählen hohes Fieber, Erbrechen und Atemwegsinfektionen. In schweren Fällen kann es zu Krampfanfällen und Gehirnentzündungen bis hin zum Koma kommen.

Droht nach Corona eine erneute Pandemie?

Experten halten einen ähnlich grossflächigen Ausbruch wie während der Corona-Krise für unwahrscheinlich. Grund: Von Mensch zu Mensch wird die Krankheit anders als bei SARS-CoV-2 eher selten übertragen. «Potenzial für eine Pandemie hat das nicht, weil die Infektionsketten schnell ausbrennen», gibt Klaus Stöhr gegenüber «Bild» Entwarnung.

Ausserdem sagt der Experte: «Es gibt auf der Welt über 300 relevante Zoonose-Erreger. In den letzten Jahrhunderten haben sich allerdings nur eine Handvoll stabil beim Menschen etabliert, wie zum Beispiel HIV.» Ein weiterer Grund, der gegen eine grossflächige Ausbreitung des Nipah-Virus in Europa spricht, ist die Tatsache, dass Flughunde – die Hauptüberträger – in Europa nicht vorkommen.

Gibt es einen Impfstoff gegen das Nipah-Virus?

Einen wirksamen Impfstoff gegen das Nipah-Virus gibt es nicht. Selbiges gilt für ein Gegenmittel. Zwar weisen erste Laborversuche vielversprechende Ergebnisse bei infizierten Primaten aus, noch ist bei Menschen jedoch keine Therapie zugelassen. Als Vorsichtsmassnahme greift daher eine strikte Isolation von Infizierten.

Die Forschung an einem Gegenmittel gegen das Nipah-Virus läuft. Eine Therapie für Menschen ist aber noch nicht zugelassen. (Symbolbild)
Die Forschung an einem Gegenmittel gegen das Nipah-Virus läuft. Eine Therapie für Menschen ist aber noch nicht zugelassen. (Symbolbild)
Bild: EPA / Idrees Mohammed

Wie haben sich frühere Ausbrüche entwickelt?

Beim ersten Nipah-Ausbruch 1998 starben mehr als 100 Menschen in Malaysia. Um das Virus einzudämmen, wurden eine Million Schweine gekeult. Das Virus breitete sich auch in Singapur aus, dort waren Schlachthofarbeiter in Kontakt mit aus Malaysia eingeführten Schweinen gekommen. Elf von ihnen erkrankten, einer starb.

Seit 2001 gab es dann Ausbrüche in Bangladesch und Indien. Seitdem starben allein in Bangladesch mehr als hundert Menschen an Nipah, doppelt so viele wie in Indien. Dort gelang es den Behörden in der Regel, die Ausbrüche durch strikte Massnahmen binnen weniger Wochen unter Kontrolle zu bringen.

Auf die jüngste Infektionswelle im Bundesstaat Kerala reagierten sie nun mit der Schliessung zahlreicher Schulen und dem Verbot von öffentlichen Zusammenkünften. Zudem veranlassten sie Massentests und stellten hunderte Menschen unter Beobachtung. Es ist inzwischen bereits der vierte Nipah-Ausbruch in dem Bundesstaat binnen fünf Jahren.

Nimmt die Übertragung von Krankheitserregern von Tier zu Mensch zu?

Zoonosen – Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden können – sind bereits vor Tausenden von Jahren aufgetreten. Doch in den vergangenen 20 bis 30 Jahren haben sie sich vervielfacht. Dass sie sich rascher rund um den Globus verbreiten, liegt auch an der Zunahme des internationalen Reiseverkehrs.

Dass die Menschen zunehmend mehr Platz auf dem Planeten benötigen, im industriellen Massstab Landwirtschaft betreiben und immer mehr Wälder und damit den Lebensraum vieler Tiere zerstören, erhöht die Gefahr von Zoonosen. Auch der Klimawandel zwingt immer mehr Tiere zur Flucht aus ihren gewohnten Lebensräumen.

Laut einer im Jahr 2018 in der Fachzeitschrift «Science» veröffentlichten Schätzung gibt es 1,7 Millionen unbekannte Viren in Säugetieren und Vögeln. 540'000 bis 850'000 von ihnen haben demnach das Potenzial, Menschen zu infizieren.

Mit Agenturmaterial.